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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Autoren: Simon Mawer
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will Benoît, weil er normal ist, weil er ohne Falschheit ist, sie will ihn, gerade weil er eindeutig ist.
    Später verlassen sie zusammen die Wohnung, bekleidet mit warmen Mänteln und Hüten gegen die Kälte und mit Koffern in den Händen, wie unzählige andere Menschen, die in diesen Tagen ihr Zuhause verlassen, die Stadt verlassen, ins Exil gehen, in den Osten gehen, vom Erdboden verschwinden. Sie zieht sich die Hutkrempe tief ins Gesicht, um es so gut es geht zu verbergen. Wird nach ihr gesucht? Ob ja oder nein, es lässt sie seltsam kalt, als würde das alles jemand anderem passieren, dieser anderen Person in ihrem Leben, der jungen Frau namens Alice, die weiß, was sie tun muss und wie sie es tun muss – die Frau, die zwei Verfolger kaltblütig erschossen hat, die Reichtümer vom Himmel herabbefehlen und mit den Göttern kommunizieren kann.
    III
    Der Dienstboteneingang des Collège de France liegt nur fünfhundert Meter entfernt von der Rue Saint-Jacques und ist mit einem schmiedeeisernen Tor gesichert, das aufgeht, sobald der Pförtner Clément erkennt. Der Wagen wartet schon, ein brauner und klobiger Citroën TUB , der vor dem neoklassizistischen Gebäude des Collège so fehl am Platze wirkt wie ein Hundehaufen auf einem Marmorfußboden. Es fahren noch andere mit, ein Techniker, der den Wagen steuern wird, und eine Chemikerin, die ein paar Proben aus dem Labor abholen will.
    »Laurence ist eine alte Freundin der Familie«, erklärt Clément, als sie einsteigen. »Wir fahren übers Wochenende weg.«
    Die Chemikerin blickt skeptisch. »Wie geht’s Augustine?«, fragt sie spitz.
    »Ihr geht’s gut, dem Baby geht’s gut, allen geht’s gut.«
    »Sie sind in Savoyen, nicht?«
    »In Annecy, ja.«
    »Grüß sie schön, wenn du das nächste Mal mit ihr sprichst.«
    Ausrüstungsgegenstände werden in den Wagen geladen, Instrumente für das Ivry-Labor, einige bleiverkleidete Behälter mit radioaktiven Isotopen. Clément und die Chemikerin fachsimpeln, sprechen über Dysprosium und Lanthan, über Wirkungsquerschnitte und Neutroneneinfang, während Alice danebensitzt und sich wie ein Eindringling in einer fremden Welt fühlt.
    »Habt ihr von der Schießerei in Belleville gehört?«, fragt der Techniker während der Fahrt über die Schulter. »War in den Nachrichten.«
    Sie haben davon gehört. Anscheinend haben sie jemanden verhaftet. Die Chemikerin meint, dass auch nach einer Frau gesucht wird. Zumindest geht das Gerücht.
    »Kommunistin, schätze ich«, sagt der Techniker. »Kapieren diese verdammten Idioten denn nicht, dass das wieder Vergeltungsmaßnahmen gibt? Noch mehr unschuldige Tote, und wofür?«
    Alice versucht, möglichst desinteressiert an den Neuigkeiten zu wirken. Auf der Rückbank des Wagens bekommt sie nur wenig von der Fahrt mit. Es herrscht kein Verkehr, außer dem allmorgendlichen Ansturm von Fahrrädern, keine Straßensperren, außer an der Porte de Choisy, wo sie abbremsen müssen, als ein Gendarm sie rechts ranwinkt. Doch im letzten Moment scheint der Mann den Wagen zu erkennen und bedeutet ihnen, weiterzufahren. Eine halbe Stunde nachdem sie vom Collège losgefahren sind, hält der Wagen vor dem Bahnhof von Ivry-sur-Seine.
    Es weht eine frische Brise, und Wolkenfetzen treiben am Himmel, die südlichen Außenbezirke von Paris wirken wie abgespült vom letzten Regen, übersät mit Blättern und vom Wind glänzend aufpoliert, sodass man die eintönige Landschaft aus Mietskasernen und schäbigen Fabriken, die Wüstenei aus Abstellgleisen und Lagerhäusern fast übersehen könnte.
    »Schönes Wochenende«, sagt die Chemikern, als sie aussteigen. Sie lächelt nicht.
    »Ich bring dir eine Überraschung mit«, verspricht Clément ihr. »Etwas foie gras .«
    »Das wäre ja dann keine Überraschung mehr.«
    Am Bahnsteig wartet ein ungepflegter Haufen Leute auf den Zug. Sie tragen Taschen und Koffer und haben den hungrigen Blick von Jägern und Sammlern in den Augen: Paris hungert – sie wollen aufs Land, wo es reichlich zu essen gibt. Alice und Clément halten sich abseits, stehen zum Schutz gegen den Wind dicht beieinander und reden über Belangloses, als ob sie das alles nicht interessiert. Sie sind bloß ein Pärchen in einem Vorstadtbahnhof, mit Wochenendplänen, die Verrat und Betrug beinhalten.
    Der Bordeaux-Zug vom Gare d’Austerlitz fährt mit einer halben Stunde Verspätung ein und ist bereits überfüllt. Selbst in der ersten Klasse können sie nur deshalb zwei Sitzplätze nebeneinander
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