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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Autoren: Simon Mawer
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Wirbelsäule an Bauch und Brüsten. Die Stimmen, wenn da Stimmen waren, haben aufgehört. Sie schiebt sich von ihm weg, schlüpft aus dem Bett und tappt über den kalten Boden, greift sich Madeleines Bademantel. Die Luft in der Wohnung lässt den Würgegriff des Winters erahnen. Die Klobrille ist kalt. Warmer Dampf steigt um sie auf, als sie pinkelt.
    Erinnerungen holen sie ein, lösen sich aus ihren Träumen: Yvette am Grab von Balzac. Das Rennen, die Schießerei, zwei sterbende Männer. Und Clément, der ihr einen gewissen Trost gibt. Erst Benoît, jetzt Clément. Hat die Angst sie so werden lassen?
    Sie geht zurück ins Schlafzimmer, tastet sich durch die Dunkelheit. Er schläft noch. Sie tritt ans Fenster und zieht den Verdunkelungsvorhang auf. Der Mond, ein Dreiviertelmond, ein Buckelmond, geht unter. Im Osten deutet sich schwach die Morgendämmerung an, aber der Himmel ist noch schwarz, und wenn sie den Kopf in den Nacken legt, sind die Sterne sichtbar. Sie spürt den Widerstreit von Angst und Erregung in sich, eine emotionale Mischung, wie beim Sex.
    Sie hört Bewegung im Bett hinter ihr. »Wie spät ist es?«
    Sie lässt den Vorhang wieder zufallen. »Zeit zum Aufstehen. Marie ist bald da.«
    II
    »Ich reise heute ab«, erklärt sie. »Fahre zurück in den Südwesten.«
    Die Haushälterin nickt schmallippig, während sie ihnen das Frühstück serviert, Kaffee und dazu ein paar Scheiben Brot, die dünn mit etwas bestrichen sind, das Margarine sein könnte. »Ist vielleicht besser so.« Sie muss vor dem Mittagessen gehen und sich um ihre Mutter kümmern. »Ich bin abends wieder da und mach Ihnen Ihr Essen, Monsieur Clément«, sagt sie, doch wenn sie am Abend zurückkommt, wird sie nur einen Brief von ihm vorfinden, in dem er ihr mitteilt, dass er auch wegmusste und wo er Geld für sie hingelegt hat und was sie sagen soll, falls irgendwer fragt.
    Monsieur Clément ist für eine Weile aufs Land gefahren. Er hat keine Adresse hinterlassen.
    »Sie wird annehmen, dass wir zusammen weg sind«, sagt Marian.
    »Ganz bestimmt wird sie das.«
    »Und sie wird es Madeleine sagen, die es Augustine sagen wird.«
    Er zuckt die Achseln, auf die typisch französische Art.
    Sobald Marie gegangen ist, gilt es, Dinge zu erledigen: Sachen packen – wieder von Madeleine ausgeborgt –, Proviant vorbereiten, eine Thermosflasche Kaffee kochen. Sie erläutert ihm den Plan, um welche Uhrzeit sie den Zug nehmen müssen, wo sie aussteigen, wie die ganze Operation ablaufen wird. Clément schreibt einen Brief an Madeleine, etwas Beruhigendes mit der dringenden Bitte, sich um les canards zu kümmern, wenn sie kann, und dass er sich so bald wie möglich melden wird. Und einen an Augustine, der an sie weitergeleitet werden soll, falls möglich. Wir müssen nach dem Krieg einiges klären , schreibt er, doch nach dem Krieg ist irgendwie eine unfassbare Vorstellung, irgendwas, das sich ein theoretischer Physiker ausgedacht hat, ein Ort und eine Zeit, wo alles möglich sein könnte – oder nichts.
    Marian sieht zu, wie er den Umschlag zuklebt und adressiert, fühlt sich seltsam losgelöst von dem, was da passiert. Nichts kommt ihr real vor. Die kalte Wohnung, Clément, ihre Anwesenheit, die Erinnerungen an letzte Nacht und an den Tag davor. Sie könnte genauso gut eine Tarngeschichte inszenieren, die Rolle mit Sorgfalt spielen, den Text fehlerlos hinkriegen und doch die ganze Zeit wissen, dass alles bloß ein kompliziertes Gedankengebäude ist, eine Lüge, die sie notgedrungen spielt.
    Die Mittagsnachrichten künden eine frühe Ausgangssperre an. Es ist von Sicherheitsgründen die Rede, von Terroristen in der Stadt, von niederträchtigen und hinterlistigen Methoden der Angelsachsen, von der Ermordung zweier deutscher Polizeibeamter. Sie essen eine Kleinigkeit, ohne viel zu reden, wie ein altes Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hat.
    »Was ist los, Äffchen?«, fragt er, doch sie schüttelt bloß den Kopf. Nichts ist los, das sich mit ein paar Worten erklären lässt, und jeder Satz, den sie aussprechen möchte, kommt ihr vor wie ein Widerspruch zu dem davor: Sie liebt ihn, und sie liebt ihn nicht; sie will mit ihm fliehen, und sie will hierbleiben; sie ist nur sich selbst verpflichtet, und sie ist WORDSMITH verpflichtet. Sie ist eine Frau, die frei und rein ist; sie ist eine beschmutzte Frau. Sie ist eine Soldatin, die an vorderster Front kämpft; sie ist eine Mörderin. Und wo in diesem Wirrwarr aus Paradoxien kommt Benoît ins Spiel? Sie
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