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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Autoren: Simon Mawer
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und gibt ihnen die Papiere zurück. Im selben Moment fährt der Zug mit einem entschiedenen Ruck wieder an, als würde die Zeit selbst einen anderen Gang einlegen, rollt durch Orléans hindurch, die Stadt der heiligen Jungfrau, La Pucelle , Jeanne d’Arc. Und dann haben sie die Häuser hinter sich gelassen und kommen durch die kahlen Felder der Flussniederungen, wo die Loire sich als fernes Band von Weiden abzeichnet. Sie döst, den Kopf an Cléments Schulter, sein Arm um sie. Sie erinnert sich an die Träume, die sie als junges Mädchen hatte, als sie sich nur das hier gewünscht hatte – mit Clément allein zu sein. Und nun empfindet sie bloß diese seltsame Distanz, das Gefühl, losgelöst zu sein, als wäre sie irgendwo anders und würde sie beide aus einiger Entfernung beobachten.
    Beaugency, Blois, Amboise. Der Zug rumpelt auf einer Steinbrücke über den Fluss und durchquert die hässlichen Vororte von Tours, passiert Fabriken und Rangierbahnhöfe, rattert über Weichen, schwankt so heftig, dass Passagiere, die aufgestanden sind, um ihre Koffer aus dem Gepäcknetz zu holen, gegeneinander taumeln.
    Saint-Pierre-des-Corps, der heilige Petrus der Toten, ein Name, der vermutlich auf das Leichenhaus katholischer Schuld und Verdammnis zurückgeht. Sie stehen auf und nehmen ihre Koffer, steigen über Füße und schlurfen durch den Gang bis ans Ende des Waggons. Clément steigt als Erster aus, lässt sich die Koffer von ihr reichen und hilft ihr dann die Trittstufen hinunter. Der Schaffner bläst seine Trillerpfeife, und der Zug fährt wieder los, lässt einen verstreuten Haufen Fahrgäste auf dem Bahnsteig zurück wie Strandgut bei Ebbe.
    Und Gilbert.
    Er ist aus einem der vorderen Waggons gestiegen. Er hat eine Aktentasche in der Hand, sieht aus wie ein Handelsreisender auf dem Weg zu einem Kundentermin. Ohne ihnen auch nur einen Blick zuzuwerfen, dreht er sich um und geht in die Halle zu einem Fahrkartenschalter. Sie stellen sich hinter ihm in die Schlange, und sobald sie ihre Fahrkarten haben, folgen sie ihm auf den Bahnsteig. Es ist niemand da, niemand, der den Bummelzug nach Vierzon nehmen will, niemand, der sie an diesem Spätherbstnachmittag bemerkt, an dem die Sonne lange Schatten wirft und der Wind ihnen kalt ins Gesicht bläst. Als der Zug einfährt, setzen sie sich in dasselbe Abteil, wo sie beiläufig miteinander plaudern, wie Fremde, die zufällig zusammengewürfelt werden. Doch kaum ist die Tür geschlossen, verändert sich Gilberts Verhalten. »Ich hab Sie in Austerlitz vermisst.« In seiner Stimme schwingt ein vorwurfsvoller Unterton.
    »Wir sind in Ivry zugestiegen. Wir dachten, das wäre sicherer«, sagt sie.
    »Gute Idee. Am Bahnhof hat es nur so gewimmelt von Polizei. Und überall hingen Plakate mit einer ziemlich guten Beschreibung von Ihnen.«
    »Plakate!«
    Er nickt. »Und mit Ihren diversen Namen. Marian Sutro, stimmt das? Auch bekannt als Alice, auch bekannt als Anne-Marie. Da stand, Sie sind Jüdin. Ist Ihre Familie jüdisch?«
    »Seit Generationen schon nicht mehr. Nicht mal für die Nazis.«
    »Jedenfalls, die haben ein Kopfgeld auf Sie ausgesetzt. Fünfhunderttausend Francs. Ziemlich knauserig, würde ich sagen.« Er blickt Clément an, dann gleiten seine Augen nach unten, sehen, dass sie Händchen halten. »Wo ist die Frau, die noch mitwollte? Sie haben gesagt, es wären zwei. War sie nicht von CINÉASTE ?«
    »Sie kommt nicht mit.«
    »Wieso nicht?«
    »Ich hab Ihnen doch gesagt, ich hätte meine Zweifel, was sie betrifft.«
    »Und Monsieur ist der Mechaniker, nehme ich an. Sind Sie schon mal geflogen?«
    »Noch nie.«
    »Essen Sie vorher nicht zu viel. Könnte ein holpriger Flug werden.«
    »Zu viel essen? Heißt das, wir kriegen Abendessen?«
    »Gehört alles zum Service.« Er wendet sich wieder an Alice. »Sieht so aus, als wären Sie gerade noch rechtzeitig rausgekommen. Vielleicht sollten Sie heute Abend auch mitfliegen, den anderen Platz einnehmen.«
    »Sie kommt mit«, sagt Clément.
    Sie zuckt die Achseln und schaut zum Fenster hinaus auf die Felder Frankreichs. Eine Prämie auf ihren Kopf. Fünfhunderttausend Francs. Wie viel ist das? Zweitausend Pfund? Mehr. Ein Vermögen. Genug, um ein großes Haus zu kaufen. Und ein Auto dazu.
    Gilbert fragt: »Stimmt das?«
    Sie wäre morgen früh in England. Sie könnte Weihnachten zu Hause verbringen und im Frühjahr dann vielleicht wieder nach Frankreich zurückkehren, in den Südwesten, zu WORDSMITH und zu Benoît. »Ja«, erwidert
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