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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden
Autoren: Audrey Niffenegger
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auf und versuchen zwischen all den Cheddar-Fritten und Frikadellen etwas zu finden, das wir essen möchten. Alba singt immer nur das Wort Milchshake. Als SPAZ wieder erscheint, befällt sie mit einem Mal eine Schüchternheitsattacke und sie muss regelrecht überredet werden, ihm mitzuteilen, dass sie einen Erdnussbutter-Milchshake möchte (und eine kleine Portion Pommes, weil es, wie ich ihr erkläre, zu dekadent ist, wenn man zum Mittagessen nur einen Milchshake trinkt). Charisse bestellt Makkaroni mit Käse, ich ein Sandwich mit Schinken, Salat und Tomaten. Kaum ist Spaz verschwunden, singt Charisse: »Alba und Spaz sitzen auf einem Baum und k-ü-s-s-e-n sich...« Alba schließt die Augen und hält sich die Ohren zu, schüttelt den Kopf und grinst. Ein Kellner, auf dessen Namensschild BUZZ steht, stolziert vor der Theke auf und ab und gibt eine Karaoke-Einlage zu Bob Segers I Love That Old Time Rock and Roll.
    »Ich hasse Bob Seger«, sagt Charisse. »Meinst du, er hat mehr als dreißig Sekunden gebraucht, um das Stück zu schreiben?«
    Der Milchshake kommt in einem hohen Glas mit einem biegsamen Strohhalm und einem Metallshaker, in dem sich der Rest befindet, der nicht ins Glas gepasst hat. Zum Trinken steht Alba auf, stellt sich auf Zehenspitzen und sucht den bestmöglichen Winkel, um ihren Erdnussbutter-Milchshake aufzusaugen. Ihr Luftballon-Dackel-Hut rutscht ihr ständig in die Stirn und stört ihre Konzentration. Durch ihre dichten schwarzen Wimpern blickt sie zu mir auf und schiebt den Luftballonhut hoch, so dass er durch statische Elektrizität an ihrem Kopf haften bleibt.
    »Wann kommt Daddy nach Hause?«, fragt sie. Charisse gibt ein Geräusch von sich, das einem entfährt, wenn man versehentlich Pepsi in die Nase bekommen hat, und fängt an zu husten; ich klopfe ihr auf den Rücken, bis sie mir mit Handzeichen zu verstehen gibt aufzuhören, und ich gehorche.
    »Am 29. August«, antworte ich Alba, die sich wieder ihrem Shake zuwendet und den Bodensatz aufsaugt, während Charisse mich vorwurfsvoll ansieht.
    Später fahren wir im Auto den Lake Shore Drive entlang; ich sitze am Steuer, Charisse fummelt am Radio herum und Alba schläft auf dem Rücksitz. Als ich bei der Ausfahrt Irving Park rausfahre, sagt Charisse: »Weiß Alba nicht, dass Henry tot ist?«
    »Natürlich weiß sie das. Sie war doch dabei«, erinnere ich Charisse.
    »Aber wieso sagst du ihr dann, er würde im August nach Hause kommen?«
    »Weil es so ist. Er hat mir das Datum selber gegeben.«
    »Aha.« Obwohl mein Blick auf die Straße gerichtet ist, spüre ich, wie Charisse mich anstarrt. »Ist das nicht... irgendwie schräg?«
    »Alba findet es toll.«
    »Aber du?«
    »Zu mir kommt er nie.« Ich bemühe mich um einen unbeschwerten Tonfall, als würde mich diese Ungerechtigkeit nicht quälen, als wäre ich nicht traurig über den Groll, den ich empfinde, wenn Alba mir von Henrys Besuchen erzählt und ich jede Kleinigkeit aufsauge.
    Warum nicht ich, Henry? frage ich ihn insgeheim, als ich in Charisse und Gomez’ mit Spielsachen übersäte Einfahrt biege. Warum nur Alba. Doch wie immer gibt es darauf keine Antwort. Wie immer ist es eben einfach so. Charisse küsst mich, steigt aus und geht gelassen auf die Haustür zu, die sich wie von Zauberhand öffnet und Gomez mit Rosa zeigt. Rosa hüpft auf und ab und hält Charisse etwas hin, die es nimmt, etwas sagt und sie herzlich umarmt. Gomez sieht mich an und winkt schließlich leicht. Ich winke zurück. Er wendet sich ab. Charisse und Rosa sind im Haus verschwunden. Die Tür schließt sich.
    Ich sitze da in der Einfahrt, Alba schläft auf dem Rücksitz. Krähen staksen über den mit Löwenzahn durchwachsenen Rasen. Henry, wo bist du? Ich lehne den Kopf ans Steuerrad. Hilf mir. Niemand antwortet. Nach einer Weile lege ich den Gang ein, fahre rückwärts aus der Einfahrt und mache mich auf den Weg zu unserem stillen Zuhause.
Samstag, 3. September 1990 (Henry ist 27)
     
    Henry: Ingrid und ich sind betrunken, wir wissen nicht mehr, wo unser Auto steht. Wir sind betrunken und es ist dunkel und wir sind die Straße auf und ab gelaufen und wieder zurück und im Kreis, aber kein Auto. Verdammter Lincoln Park. Verdammter Abschleppdienst. Verdammt.
    Ingrid ist wütend. Sie geht vor mir her, und ihr ganzer Rücken, selbst die Art, wie sie die Hüften schwingt, wirkt wütend. Irgendwie ist alles meine Schuld. Scheiß Park-West-Nachtclub. Wie kann man einen Nachtclub in diesem elenden yuppiefizierten Lincoln
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