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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers
Autoren: Philipp Vandenberg
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gebieten. Vom Hörensagen, vielleicht aber auch aus eigener Erfahrung, glaubte sie, ein kaltes Bett sei ein probates Mittel, triebhafte Regungen zu unterdrücken. Mindestens einmal die Woche machte sie, mit einer Laterne ausgerüstet, einen Kontrollgang durch den lang gestreckten Schlafsaal, ohne sich näher zu erklären. Bislang jedoch ohne eine Entdeckung zu machen, die den Ordensregeln des heiligen Benedikt widersprach.
    Dies mag seine Ursache zum einen in dem Laternenschein gehabt haben, der ihren Kontrollgang schon von Weitem ankündigte, vielleicht aber auch im Klimpern jenes Rosenkranzes, den sie unterdem schwarzen Skapulier der weißen Nonnentracht um den Leib trug. Im Dormitorium ertönte dann wie bei den Murmeltieren im Gebirge ein leiser Pfiff, und augenblicklich herrschte andächtige Ruhe.
    Bisher war Magdalena von Annäherungsversuchen ihrer Mitschwestern verschont geblieben. Nicht dass sie hässlich gewesen wäre oder auf irgendeine Weise von der Natur vernachlässigt, im Gegenteil. Ihr Schöpfer hatte sie mit einem wohlgeformten Leib und mit Brüsten ausgestattet, deren Existenz nicht einmal die strenge Zisterzienserinnentracht verbergen konnte. Nein, es war wohl ihre ungewollte Unnahbarkeit, eine Vornehmheit, ja Würde, die von Magdalena trotz ihrer niederen Herkunft und der Jugendlichkeit von gerade 22 Jahren ausging.
    Doch in dieser Nacht – Magdalena hatte noch den monotonen Singsang der Komplet im Kopf, welche den Tag beschloss –, in dieser Nacht hatte sie leise Schritte am Fußende ihres Bettkastens vernommen. Nichts Ungewöhnliches unter den geschilderten Umständen.
    Als äußerst ungewöhnlich empfand Magdalena allerdings nur Augenblicke später die Hände, welche zärtlich ihren Leib abtasteten. Sie war wie gelähmt. Zunächst, weil sie glaubte zu träumen; dann aber, als sie in die Wirklichkeit zurückfand, weil sie nicht wusste, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollte.
    Die Berührungen, deren Verursacherin ihr in dem stockfinsteren Dormitorium verborgen blieb, erschienen ihr keineswegs unangenehm, ja, Magdalena musste sich eingestehen, dass hier etwas ablief, was sie insgeheim manchmal ersehnt hatte. Mehr als einmal hatte sie sich in ihren Wachträumen vorgestellt, wie es sein würde, wenn eines Mannes lüsterne Hände ihren jungfräulichen Leib liebkosten. Auf einmal schien alles so real, dass sie vergaß, wer sie war und wo sie sich aufhielt. Magdalena glaubte verrückt zu werden vor Lust, und sie begann erregt zu stöhnen – so, wie sie es in schlaflosen Nächten im Dormitorium vernommen hatte.
    Doch als sich die fremden Hände zwischen ihre Schenkel drängten, als das Blut in ihren Adern brannte wie Feuer, als sie nicht mehr ein noch aus wusste, wie sie der Situation begegnen sollte, da schlug sie, beinahe besinnungslos, mit dem Handrücken ihrer Linken in die Dunkelheit, dass ein Klatschen zu vernehmen war. Ein unterdrückter Schrei. Dann entfernten sich leise Schritte.
    So saß Magdalena also benommen auf der harten Bettkante und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Noch herrschte stockfinstere Nacht, und in der Nacht vermengen sich Traum und Wirklichkeit auf beklemmende Weise.
    Während sie nun in ihre Kutte schlüpfte und den kahlen Kopf in die gestärkte Nonnenhaube zwängte, warf sie verschämte Blicke in den halbdunklen Schlafsaal. Magdalena fühlte alle Blicke auf sich gerichtet. Aufgelöst und verzweifelt nahm sie in der Zweierreihe Aufstellung, die sich in dem schmalen Mittelgang formierte. Schließlich setzte sich die mitternächtliche Prozession zum Kirchgang in Bewegung. Sie führte über eine schmale Treppe, die sich wie eine Schnecke nach unten wand, durch eine Öffnung zum Kreuzgang und auf der gegenüberliegenden Seite zu einer Türe mit spitzem Bogen, dem Eingang zum Chorgestühl.
    Während der Matutine mit ihren ständig wiederkehrenden Gebetsformeln versuchte Magdalena krampfhaft das Geschehen der vergangenen Nacht aus ihrem Gedächtnis zu drängen. Sie war wie berauscht; aber nicht wie sonst vom Weihrauch und dem Duft brennender Kerzen, die sie in Entzücken versetzten, sondern von der Macht der Gefühle, die sie erlebt hatte.
    Aber je länger sich die Sprechgesänge des ersten Morgengebetes hinzogen, desto mehr kamen Magdalena Zweifel, ob sie das Erlebte nicht doch nur erträumt, erhofft und sich eingebildet hatte. Ob Keuschheit und Jungfräulichkeit ihr nicht etwas vorgegaukelt hatten, dem sie bei ihrem Eintritt ins Kloster entsagt hatte. Ob es nicht
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