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Die Frau des Polizisten

Die Frau des Polizisten

Titel: Die Frau des Polizisten
Autoren: Ingrid Elfberg
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dem Schoß auf die Bank neben ihrer neuen Unterkunft und sah über die Dächer der kleinen Stadt zur nördlichen Küstenlinie Siziliens. Die Sonne ging gerade hinter der großen Insel unter; es sah aus, als würde sie im Abenddunst ein Stück über dem Meer schweben. Langsam verlor sie sich im Dunst und verblasste von Orangerot zu Blasslila und Blau.
    Helene ging hinter ihr kleines Zuckerwürfelhaus und sah nach Norden. Lipari, die Insel, auf der sie sich befand, war die größte der Inseln und die einzige, die so etwas wie eine Stadt hatte. Die zweitgrößte war die ländliche Insel Salina, die sie wie eine schwache blaugraue Luftspiegelung im Norden erkennen konnte. Näher am italienischen Festland, im Osten, lagen die Inseln Panarea und die berühmte Vulkaninsel Stromboli, auf der Ingrid Bergman sechs Jahre lang mit ihren Kindern und ihrem italienischen Ehemann in einem kleinen einfachen Haus gewohnt hatte. Helene meinte, die ständigen Rauchschwaden des Vulkans am Horizont zu erahnen.
    Erneut drängten sich ihr die Tränen auf, tropften zuerst still ins Glas. Zuletzt raubten sie ihr den Atem und den letzten Funken Kraft, so dass sie sich auf die Steinplatten warf. Wie lange sie so zusammengerollt auf den Steinen gelegen hatte, konnte sie nicht sagen. Ihr Körper war steif, und sie fröstelte, als sie wieder zu sich kam. Es war dunkel geworden, und der Wind, der vom Meer herüberwehte, war frisch und trug seinen Geruch mit sich. Mühsam rappelte sie sich hoch,betrat das kleine Würfelzuckerhaus und schloss die Fenster, durch die eine Brise hineinkam.
    Sie zog einen Stoß handbeschriebener Seiten aus dem Rucksack. Wie das Ganze angefangen hatte, wusste sie im Grunde gar nicht richtig. Toni und sie hatten zu Beginn ihres Bauvorhabens engen Kontakt zu Barbro gehabt. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte sich Vanja mit Helene in Verbindung gesetzt. Zuerst hatte sie mit Erstaunen und Misstrauen auf das, was Vanja ihr erzählte, reagiert. Danach hatte sie es bitter bereut, damals nicht mehr auf ihr Bauchgefühl vertraut zu haben.
    Dann war Toni gestorben und hatte sie mit einem halbfertigen Haus, der ganzen Verantwortung, den Auseinandersetzungen mit den Behörden und der nachbarschaftlichen Fehde allein gelassen. Als sie zum ersten Mal nach dem Tod ihres geliebten Mannes wieder das Stadtbauamt aufgesucht hatte, war sie geradewegs in Vanjas Büro gegangen, und sie hatte ein Blick getroffen, der ihr vor Angst eine Gänsehaut eingejagt hatte. Das Tagebuch war in Helenes Besitz übergegangen, leihweise, wie Vanja mit nacktem, schutzlosem Augenausdruck gesagt hatte.
    Der Inhalt des Tagebuchs hatte Helene einen solchen Schock versetzt, dass sie zur Spüle ihres unfertigen Hauses gewankt war und ihr armseliges Abendessen erbrochen hatte. Dass sie einem Menschen begegnet waren, der dermaßen narzisstisch war, jede Bodenhaftung verloren und irgendeine emotionale Störung hatte, darüber hatten sie und ihr Mann Toni schon nach der ersten Begegnung mit Barbro gesprochen. Aber Toni hatte sich ganz gemäß seiner üblichen professionellen Zuversicht Barbros mit der Einstellung angenommen, dass sie nur eine Frau war, die nach Aufmerksamkeit lechzte und von ihrer Arbeit tödlich gelangweilt war. Wiesehr er sich geirrt hatte, wurde Helene an dem Abend klar, an dem sie das Tagebuch aufgeschlagen hatte. Sie hatten ihren Feind falsch beurteilt.
    Irgendwann während dieser langen Nacht, in der Helene das bizarre Buch gelesen hatte, kam ihr der Gedanke, dass das entweder ein schlechter Witz oder Barbro eine wahnsinnige Mythomanin war. Doch je weiter sie las, desto klarer wurde ihr, wie durchtrieben und krank das Spiel war, dem Barbros Umfeld ausgesetzt worden war.
    Sorgfältig hatte Helene ein paar Seiten aus dem Tagebuch ausgesucht, sie kopiert, in einen Briefumschlag gesteckt und ihn in den Briefkasten des Wirtschaftsprüfungsbüros am Askims torg gelegt, an einem der letzten Tage im Dezember. In ihrem tiefsten Inneren wusste Helene, was sie dazu getrieben hatte – Rache. Für den Tod ihres Mannes, ihren zerstörten Traum und weil Barbro einfach so in ihr Leben geplatzt war und gedacht hatte, das Recht und die Möglichkeiten zu haben, damit tun zu können, was ihr beliebte. Und was wäre effektiver gewesen, als sich die Eifersucht ihres Mannes zunutze zu machen?
    Es gab Seiten in Barbros Tagebuch, die Helene wieder und wieder gelesen hatte. Seiten, in denen Barbro von ihren Ambitionen schrieb, Tonis Ehefrau zu werden, über ihre Liebe,
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