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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Autoren: Claudia Seidert
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Sprachgrenze zur Staatsgrenze«. Und ausgerechnet in der Hauptstadt dieses komplizierten Landes geht das EU-Parlament seiner Aufgabe nach, die Krisen und Vielfältigkeiten der europäischen Nationalstaaten in den Griff zu bekommen.
    Für eine vorübergehende Irritation in der deutsch-belgischen Nachbarschaft sorgte Bismarck 1866 mit seinem Plan, im Krieg zwischen Preußen und Österreich die als Gegenleistung für die Neutralität Frankreichs an Napoleon III. abgetretenen linksrheinischen Gebiete ausgerechnet mit belgischem Territorium kompensieren zu wollen. Das scheiterte jedoch im Jahr darauf. Als sich wenige Jahre später, 1870/71, das vereinigte deutsche Reich und Frankreichschließlich im Krieg gegenüberstanden, gelang es Belgien, seine seit der Staatsgründung garantierte Neutralität zu erhalten, obwohl die entscheidenden Kampfhandlungen in Lothringen hart an der belgischen Grenze stattfanden.
    Im Jahr von Adys Geburt befand sich die deutsche Monarchie auf ihrem Höhepunkt. Wilhelm II., der Narziss in Admiralsuniform mit seinem seit der Geburt gelähmten linken Arm, forcierte den Flottenwettlauf mit England, die Hochrüstung in Europa spitzte sich zu. Die Engländer, Deutschlands intimste Rivalen, beobachteten den Kaiser in Berlin grundsätzlich misstrauisch – auch anlässlich seines silbernen Thronjubiläums. Doch englische Zeitungen konzedierten ihm immerhin, er habe öfter am Rande eines Krieges gestanden, aber den Schwert bewehrten Arm immer wieder rechtzeitig gesenkt, der britische ›Guardian‹ feierte ihn gar als »best friend of peace in Europe«. Es sei ihm nicht nur gelungen, außenpolitische Probleme zu überwinden, sondern sich auch gegen die radikalen pan-germanischen Elemente im Innern durchzusetzen. Deren Idee einer großen Sprachgemeinschaft, die von »Dünkirchen bis Königsberg« reichen sollte, faszinierte damals in Deutschland romantische Dichter und Historiker. Schon rein philologisch war sie zwar nicht haltbar, doch sie fand Anhänger auch im westlichen Flandern.
    Anfang November besuchte der belgische König Albert I. das Deutsche Reich, wo Wilhelm II. und sein Generalstabschef Helmuth von Moltke versuchten, ihn davon zu überzeugen, im Falle eines Krieges mit Frankreich, die Neutralität aufzugeben und zu einem Engagement für die deutsche Seite zu bewegen. Doch Albert und seine Berater blieben standhaft, Belgien beharrte auf seinem unparteilichen Status.

Feste des Fortschritts
    Wilhelm II. war gut beraten, Belgien als Verbündeten zu gewinnen, denn das Land lag strategisch günstig: einerseits auf dem Weg nach Nordfrankreich und andererseits am Kanal quasi mit Blickkontakt nach England. Auch hatte sich Belgien in den Jahrzehnten zuvor wirtschaftlich ungeheuer entwickelt und weckte Begehrlichkeiten nicht nur bei den deutschen Militärs.
    Belgische Ingenieure hatten bereits wenige Jahre nach der Staatsgründung mit dem Bau des ersten Eisenbahnnetzes auf dem europäischen Kontinent begonnen und lösten damit eine industrielle Revolution und ein enormes Wirtschaftswachstum aus. Gegen Ende des Jahrhunderts folgte dann eine zweite, kaum schwächere Wachstumsphase. Dadurch hatte sich Belgien hinter Großbritannien zum höchstindustrialisierten Land der Welt entwickelt, insbesondere durch die Steinkohleminen und die Metallindustrie im Süden des Landes: in der Region um Lüttich, Liège sowie im Hennegau. Brüssel wurde mit dem Bank- und Bau-Konzern Société Générale und der belgischen Nationalbank zur finanziellen Schlagader – zwei Institutionen, die durch Schaffung von Aktiengesellschaften die Industrie lenkten und mit Kapital ausstatteten. Die Aussichten und die Gewinne schienen grenzenlos, und der Kapitalismus ließ ungehemmt die Hosenträger schnalzen.
    Die Skrupellosigkeit, mit der die Industriemagnaten ihre Arbeiter dabei als Produktionsmasse betrachteten und jedwede Form von Kritik oder gar Streik mit Gewalt unterbanden, bewog den in London residierenden Karl Marx 1869 zu einem erzürnten Flugblatt. »Es gibt nur ein Land in der zivilisierten Welt, wo jeder Streik begierig und nur zu gern als Vorwand ergriffen wird, um die Arbeiterklasse offiziell niederzumetzeln. Das so einzig beglückte Land ist Belgien, der Musterstaat des kontinentalen Konstitutionalismus, das behagliche, wohlumzäunte kleine Paradies des Grundbesitzers, des Kapitalisten und des Pfaffen.«
    Die Arbeiter rekrutierten sich häufig aus landwirtschaftlichen Pächtern und Tagelöhnern, die aus der immer
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