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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Autoren: Alexis Jenni
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versucht, sie wiederzusehen, weil ich Angst davor hatte.«
    »Sie? Angst?«
    »Ich habe mich nie umgedreht, habe nie einen Blick zurückwerfen wollen. Warum auch? Um die wiederzusehen, deren Tod ich auf dem Gewissen habe? Mir ging es einigermaßen gut. Aber der Vater ist unser Programm; der Mann, dessen Blut in uns fließt, hat schon die Furche gezogen, in der man eines Tages zusammenbricht. Man folgt ihr, ohne es zu wissen; man glaubt, sie nur zu benutzen, doch man kommt nicht aus ihr heraus; sonst muss man schon mit großem Aufwand Erdarbeiten vornehmen. Ich ähnele ihm, unsere Gesichter sind deckungsgleich; ich hatte Angst, mein eigenes Ende zu sehen, falls ich ihn betrachten würde. Dieser Zirkus, von dem er gelebt hat, widerte mich an: er jonglierte mit den Regeln, jonglierte mit Worten, er rechtfertigte sich ständig, all das wollte ich nicht lernen. Für mich waren drei Kriege nötig gewesen, bis ich mich von der Furche entfernen konnte, und ich weiß nicht, ob ich weit genug gegangen bin. Ich glaube, dass mich die Malerei gerettet hat. Ohne sie hätte ich wie Mariani eine ganz kleine Welt mit verschlossenen Fenstern befehligt, in der man von Stärke träumt.«
    »Deine Welt ist auch nicht gerade groß«, knurrte Mariani. »Ein Blatt Papier! Das ist nichts für mich.«
    »Ich hatte keine Lust, dort zu sein, wohin man mich mitnehmen wollte.«
    »Und deshalb haben Sie ein abenteuerliches Leben geführt? Ein Leben, auf das Sie stolz sein können?«
    »Ich bin auf nichts stolz, außer darauf, am Leben zu sein. Was ich getan habe, habe ich nun mal getan; das lässt sich nicht ungeschehen machen. Ich weiß nicht einmal richtig, was ich erlebt habe. Es gibt Dinge, die man selbst nicht sagen kann.«
    »Salagnon ist kein Abenteurer«, schaltete sich Mariani ein. »Er ist nur jemand, dem der Hintern juckt.«
    »Wie bitte?«
    »Wenn er zu lange sitzen bleibt, will er sich die Beine vertreten. Zu anderen Zeiten hätten ihm Sport und ein paar Reisen genügt. Er hätte Bergsteiger oder Ethnologe werden können, aber er ist gerade innerhalb der kurzen Zeit erwachsen geworden, in der man Waffen handhaben konnte, ohne sich etwas Böses dabei zu denken. Vorher war das kläglich und hinterher schmählich; zumindest in Frankreich. Wenn er früher oder später auf die Welt gekommen wäre, hätte er ein ganz anderes Leben geführt. Vielleicht wäre er dann Maler geworden, ein richtiger Maler, und dann hätte ich mich nicht über ihn lustig gemacht, sondern seinen feinen Geschmack bewundert.«
    »Und Sie?«
    »Ich? … Ach, zu einem bestimmten Zeitpunkt habe ich das Bedürfnis empfunden, mich zu schlagen. Vielleicht als wir durch den Wald rannten, mit den Vietminh ständig auf dem Pelz. Seit der Zeit bin ich wütend.«
    Salagnon tätschelte ihm besänftigend den Arm.
    »Deine Wut macht dich zwar zum Blödmann, aber ihr verdankst du dein Leben.«
    »Deshalb tue ich nichts dagegen.«
    Wir angelten. Wir trieben ganz langsam die Saône hinab, während es allmählich Abend wurde. Der Aufruhr machte sich wieder bemerkbar. Sirenen waren zu hören, Brände flackerten auf und spiegelten sich auf dem ruhigen Wasser. Mariani ließ uns ohne Motor treiben, wir bewegten uns im trägen Rhythmus der Strömung voran, ich fuhr den rötlich schimmernden Fluss in Begleitung von zwei angelnden Opas hinab. Wir hörten das dumpfe Geräusch vom Abschuss der Tränengasgranaten und das deutlichere Krachen beim Aufprall.
    »Erinnerst du dich noch an dieses Geräusch, Mariani? Das Bumm beim Abschuss, dann haben wir den Kopf gesenkt, den Helm festgehalten und gewartet, dass die Granate einschlug.«
    »Siehst du, jetzt kommt es doch hierher. Es missfällt mir nicht, dass ich recht habe. Das besänftigt mich. Der Aufruhr kommt.«
    »Das wird nicht viel geben. Ein paar verbrannte Autos, mehr nicht, nur ein Problem für Versicherungsagenten.«
    »Weißt du, was gut wäre? Wenn wir kentern und heute Nacht ertrinken würden. Auf diese Weise würden wir verschwinden, ohne uns gestritten zu haben. Ohne dass der eine von uns recht und der andere unrecht hat. Das wäre besser. Es ist eine gute Nacht, um uns für immer zu versöhnen.«
    »Mach keinen Scheiß, Mariani. Wir haben den Kleinen dabei.«
    »Er kann bestimmt schwimmen.«
    »Wir haben ihm doch nicht all das erzählt, damit er mit uns verschwindet.«
    »Dann setzen wir ihn am besten ab.«
    Ich war sowieso mit ihr verabredet. Sie ließen mich auf der Uferstraße zurück, das Schlauchboot fuhr in langsamem Tempo
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