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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin
Autoren: Anne Chaplet
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Terrasse, unter diesem Torbogen stehen und dem nachspüren, was das Haus ausstrahlte.
    Und, wenn man es nüchtern betrachtete: eine Serie von Schicksalsschlägen der Vorbesitzer trieb den Verkaufspreis eines alten Hauses nicht gerade in die Höhe.
    »Und davor…«, fragte sie. Aber so genau wollte sie es plötzlich nicht mehr wissen. Er mußte gemerkt haben, daß sie angebissen hatte, denn plötzlich war er ruhiger geworden auf seinem Stuhl an der anderen Seite des Tisches.
    »Das Haus ist mehr als 300 Jahre alt, es hat Geschichte, was wollen Sie machen.« Die Dervalle klang gleichgültig. Es schien sie wenig zu berühren, daß hinter seinen Mauern offenbar kein einziges Paar glücklich und zufrieden einem natürlichen Ende entgegengelebt hatte.
    »Außerdem kaufen Sie das Haus mit allem Interieur. Das ist – comment dit-on en allemagne ? Eine Schnäppschen…«
    Kurz vor dem Termin beim Notar, an dem der Kaufvertrag unterschrieben werden sollte, waren er und sie noch einmal durch das Haus gegangen, von oben, vom Dachboden, runter in die beiden Schlafzimmer, dann eine weitere steile Treppe hinunter zum Kaminzimmer, zur Bibliothek und zur Küche mit Eßzimmer. Dann wieder einen Stock tiefer, eine Freitreppe hinunter an einem schattigen Gärtchen vorbei in die Caves , in die Kellergewölbe, aus denen ihnen aufgeschreckte Vögel entgegenflatterten. Und schließlich wieder hoch, auf die Terrasse.
    »Und? Glücklich?«
    Sie sah ihn vor sich, wie er da stand im Abendlicht, die kurzen blonden Haare zerrauft. Sah seine zärtlichen Augen, die schiefe Nase, den weichen, geschwungenen Mund mit der feinen Kerbe in der Unterlippe. Das Gesicht einer etwas lädierten antiken Statue. Sie hatte sich wortlos an seine Brust geschmiegt. An diesem Abend begann sie an das Glück zu glauben.
    Sie mußte irgendeinen Laut von sich gegeben haben, jedenfalls sprang Felis ihr mit einem leisen Schrei auf den Arm und stieß ihr die feuchte Nase ins Gesicht. Sie kuschelte sich an das warme, duftende Katzenfell und schloß die Augen.
    Seit er fort war, versuchte sie, nicht mehr an ihn zu denken. Sogar seinen Namen hatte sie sich verboten.
    Vom Kirchturm ertönten vier Glockenschläge, das Zeichen für die volle Stunde. Dann schlug eine etwas tiefer klingende Glocke die Stundenzahl an, mit einem blechernen Nachhall. Sie zählte bis neun. Es war Zeit.
    »Lauf!« sagte Alexa und schubste Felis von ihrem Schoß. Sie stand auf, ging ins Haus zurück und die Treppe hinauf zum Schlafzimmer. Die Tür des wuchtigen Kleiderschranks knarzte beim Öffnen. Sie lauschte dem Geräusch hinterher und stellte sich all die Frauenhände vor, die in den Jahrzehnten, in denen der Schrank schon hier stand, den Schlüssel im Schloß gedreht und die Tür aufgezogen hatten. Felicitas Bauer mochte ein luftiges, weites, vielleicht geblümtes Kleid herausgeholt, es prüfend vors Licht gehalten, genickt, das Kleid aufs Bett gelegt und dann über den Kopf gezogen haben. Ada Silbermann sah sie mit einem streng geschnittenen Tweedjackett in der Hand vor dem Schrank stehen.
    Madeleine Champetier nahm seit 1942 Jahr um Jahr und Tag um Tag einen schwarzen Rock und eine schwarze Bluse heraus.
    Und die Frau, die noch früher dort gewohnt hatte, von der Madame zuletzt dann doch noch, wenn auch widerstrebend, erzählt hatte? Vielleicht, dachte Alexa, hat sie die Uniformröcke ihrer beiden Söhne aus dem Schrank geholt, gestärkt und gebügelt, um sie ihnen hinzulegen, bevor sie an die Front mußten, in den Ersten Weltkrieg, aus dem sie nicht zurückkehrten.
    Sie fröstelte. Blind griff sie in den Schrank hinein. Ungläubig starrte sie auf das rote Kleid, mit dem ihre Hand wieder aus dem dunklen Schrank herauskam. Das sollte sie anziehen? Mit gerunzelter Stirn sah sie den Schrank an.
    »Na gut«, sagte sie.

2
    Frankfurt am Main
    K aren Stark glaubte von sich, daß sie auf Äußerlichkeiten nichts gab. Aber bei Angelika Kämpfer war ihr jedes Detail aufgefallen. Die hellblaue Bluse mit dem garantiert knitterfreien Krägelchen. Die granitgraue Weste, die sie darübergezogen hatte, in sportlichem Strick, mit V-Ausschnitt. Der lange weiße Hals und die schmalen Ohren. Die Frisur, vor allem die Frisur: Staatsanwältin Dr. Angelika Kämpfer trug ihre mittelbraunen Haare länger als kinn-, aber kürzer als schulterlang. In der Mitte zwischen Ohrläppchen und Schultern fächerten sie sich sanft nach außen, nicht in einer satten Welle, nein, sondern so züchtig, daß es schon wieder kokett
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