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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin
Autoren: Anne Chaplet
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wirkte.
    Zum Inbild der Mädchenhaftigkeit paßte auch, daß nicht alle Haare hinter den Ohren geblieben waren, sondern einige glänzende Haarsträhnen sich nach vorne geschmuggelt hatten, so daß die rosa Ohrmuscheln hindurchschimmerten. Und dann der brave Seitenscheitel und der kurze Pony über den in Form gezupften Augenbrauen! Die blauen Augen darunter, natürlich ungeschminkt, wirkten ungerührt, ja kühl, was daran liegen mochte, daß die eine Augenbraue etwas höher stand als die andere. Angelika Kämpfers Nase war gerade und schmal, ihre Lippen glänzten rosig auch ohne Lippenstift, und noch nicht einmal das kleine dunkle Muttermal über der Oberlippe rechts schmälerte dieses Bild der Untadeligkeit.
    Die Neue strahlte kühle Intelligenz und äußerste Zielstrebigkeit aus. Und sie machte ihrem Namen alle Ehre.
    Karen versuchte, gleichmäßig zu atmen. Sie saß in einem ausgeklügelten Mechanismus aus Kunstleder und Stahl und Eisen. Ein Gewicht von 220 Pfund drückte die angezogenen Knie gegen Bauch und Brust. Langsam begann sie, ihre Beine dem Widerstand entgegenzustrecken. So würde sie der Kollegin Kämpfer künftig entgegenarbeiten müssen – mit steter Kraft und ohne außer Atem zu geraten. Jetzt waren ihre Beine fast gerade. Sie merkte, wie alle Muskelfasern zu vibrieren begannen.
    Was hatte sie sich eigentlich vorgestellt, als sie von der Berufung der acht Jahre Jüngeren hörte? Frauensolidarität? Gemeinsames Menstruieren bei Mondschein? Karen atmete geräuschvoll aus, als sie ihre Beine vom Gewicht langsam wieder zurückdrücken ließ in die Ausgangsposition. Triumph der Weiblichkeit? Sie machte eine kurze Pause, bevor sie die Beine wieder streckte. Schweißtropfen liefen ihr von der Stirn. Langsam ließ sie das Gewicht zurücksinken, setzte ab und rollte den Sessel des Fitneßgeräts zurück. Dann wischte sie sich mit dem Handtuch über das Gesicht. Was für ein Quatsch.
    Die Zeiten waren vorbei, als man sich mit den wenigen Kolleginnen zwangsweise solidarisch fühlen mußte. In Frankfurt war fast ein Drittel der Abteilungen mit Frauen besetzt. Und sogar der Vorsitz des Bundesverfassungsgerichts befand sich fest in Frauenhand. Was für ein Fortschritt!
    Also keine Sentimentalitäten mehr, sagte sich Karen, während sie den Raum durchquerte. Um diese Zeit war der Kraftraum fast leer, nur eine ältere Frau saß auf der Butterfly am Fenster. Weiber sind nicht die besseren Menschen. Karen steuerte den Turm an, legte sich den breiten Gürtel um die Hüften und machte ihn mit einem Karabinerhaken an der Öse fest. Und Frauensolidarität ist ein Fossil aus dem schon ganz schön vergangenen 20. Jahrhundert. Dann stieg sie zwei Stufen des Gerüsts hoch, rutschte mit den Füßen nach hinten, bis sie nur noch mit den Fußballen auf der Treppe stand und hob sich mit geraden Beinen auf die Zehen, ihr eigenes Gewicht verstärkt durch die Eisenbarren, die sie aufgelegt hatte. Nach der zehnten Wiederholung begannen ihre Wadenmuskeln zu zittern.
    Kollegin Kämpfer hatte es schon bei der Begrüßung an Deutlichkeit nicht mangeln lassen. Sie gab sich noch nicht einmal die Mühe, zu lächeln, als sie mit kaum merklicher Verzögerung Karen die kühle, schmale Hand hinhielt. Und es war auch nicht eben höflich, wie schnell sie sich wieder ab und dem Kollegen Manfred Wenzel zuwandte. Und siehe da, sie lächelte, als sie ihm die Hand gab. Mit Genugtuung sah Karen, daß Wenzel keinen Gesichtsmuskel verzog. Soviel Zartgefühl hätte sie ihm gar nicht zugetraut.
    »Kollege Wenzel und Kollegin Stark sind ein erfolgreiches Team, ein sehr erfolgreiches Team«, hatte StA Zacharias geschwätzt, der ihnen die Kämpfer eingebrockt hatte. »Nun wird uns Dr. Wenzel leider verlassen« – wieso leider? Karen wußte, daß die beiden sich auf den Tod nicht ausstehen konnten. »Und jetzt hoffen wir auf weitere glückliche Zusammenarbeit!« Diesmal zuckte niemand der Anwesenden auch nur mit der Wimper.
    Karen ließ die Szene noch einmal vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Ihre Reflexe mußten so gelähmt gewesen sein, daß sie erst gar nicht merkte, was gespielt wurde. Zacharias hatte sich im Schreibtischsessel weit nach hinten gelehnt, mit dem teuren Montblanc gewedelt, unentwegt gelächelt und unentwegt geredet, das übliche Geschwafel, sie hörte seit Jahren nicht mehr hin. Bis der Abteilungsleiter, mit der ihm eigenen Vorliebe für verkürzte Satzbildung, sagte:
    »Und solange der Kollege Wenzel noch verfügbar ist, liebe Kollegin
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