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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin
Autoren: Anne Chaplet
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gewesen für ihren Zynismus.
    Besser als Mitleid. Mitleid war das letzte.
    Catherine gehörte das Relais des Roses, Beaulieus bestes Restaurant – » mir , nicht dem Esel Emile«, betonte sie oft. Ihr entging nichts, auch heute nicht.
    »Alexa!« Alexa blieb stehen und wartete, bis Catherine sich von der anderen verabschiedet hatte, die neugierig zu ihr hinüberzusehen schien. »Komm! Heute ist der Bäcker wieder da, Pagot, der mit dem besten pain de seigle , du weißt doch, du wolltest doch immer mal…«
    In kulinarischen Dingen duldete Catherine keinen Widerspruch. Obwohl Alexa ausgerechnet heute kein Brot hatte kaufen wollen, ging sie mit.
    »Er bäckt noch auf die alte Art, und seine tartes… « Catherine küßte ihre Fingerspitzen. Alexa nickte, obwohl sie nicht den geringsten Appetit verspürte.
    »Du kaufst hoffentlich keine Gewürze auf dem Markt. Das ist alles viel zu teuer und zu alt und steht nur für die Touristen da.«
    Alexa guckte verstohlen hinüber zu dem Stand mit den dekorativ aufgekrempelten Säckchen, aus denen die Frau mit den dunkel geschminkten Augen und dem bunten Schal um den Kopf mit einem kleinen Maßlöffel Curcuma, Anis oder Cayennepfeffer in Papiertüten füllte. Natürlich hatte sie hier gekauft – Muskatnüsse und Wacholder und dicke Zimtstangen.
    Vor dem Gemüsestand blieb Catherine stehen und packte Alexas Arm. »Siehst du da vorne, die Frau mit dem großen Hut?« flüsterte sie unüberhörbar. »Sie läßt sich tatsächlich hier blicken, obwohl jeder weiß…« Als die Frau mit dem Hut in ihre Richtung guckte und winkte, ging Catherines Gesichtsausdruck geübt in Leutseligkeit über.
    »Hallo, Françoise!« Catherine winkte zurück und drehte sich gleich wieder um zu Alexa. »Sieh nicht hin, sonst kommt sie womöglich noch hierher.«
    »Und was kann ich heute für dich tun, Catherine?« fragte der Gemüsehändler.
    »Ich nehme drei Knollen rosa Knoblauch«, rief sie über die Schulter, während ihre Augen die Menschenmenge absuchten. »Und zehn von den weißen Auberginen. Die mußt du mal probieren«, sagte sie zu Alexa, die unschlüssig neben ihr stand.
    Wieder reckte sich Catherine und schwenkte den Arm. »Marcel! Tu va bien? « Ein Mann mit gerötetem Gesicht unter der Baskenmütze winkte zurück.
    »Und zwei Kilo rote Bohnen – Alexa, wenn du mal provenzalisch kochst…«
    Als Alexa stumm den Kopf schüttelte, seufzte Catherine auf. »Ißt du denn gar nichts? Na ja – so siehst du ja auch aus. In deinem Alter hatte ich auch nie Appetit.«
    Alexa wußte erst gar nicht, wovon Catherine sprach. Gewiß, sie hatte abgenommen, seit er fort war. Alles war ein bißchen durcheinander seither. Aber seit einigen Tagen fühlte sie sich, als ob sie aufgegangen wäre wie Hefeteig. Sah man ihr das nicht an?
    Die beiden Frauen hatten sich inzwischen dem Rhythmus der anderen angepaßt, die sich zwischen den Ständen drängten. Unter bunten Sonnenschirmen lagen kleine runde Ziegenkäse, in jedem Reifestadium; beim Fischhändler türmten sich die Langusten, Muscheln, Austern, und nebenan, am Stand mit den CDs und Schallplatten, wurde französische Volksmusik gespielt. Daneben Ständer mit getuschten und geblümten alten Kleidern, Tische mit Spitzendecken und Damasttüchern, dann wieder Gemüsestände mit leuchtenden Tomaten, Auberginen, Zucchini – alles verband sich zu einem Rausch von Farben und Gerüchen.
    Doch von einer Sekunde auf die andere fühlte Alexa sich in einer anderen Welt. Nebel zog über die Sonne. Die Gemüsefrau bleckte ein großes gelbes Gebiß. Der Fischhändler starrte sie mit blutunterlaufenen Augen an. Die gerupften Hähne mit den verdrehten Köpfen reckten die Klauen im Todeskampf. Über dem Ziegenkäse lag ein grünschillernder Pelz von Schmeißfliegen. Der Gestank von totem Fisch und eine Wolke schräger Klangfetzen schlugen über ihr zusammen. Sie suchte mit der Hand Halt am Tisch mit den antiquarischen Büchern. Vor ihren Augen schien ein Schwarm von Mücken zu kreisen und übel war ihr auch. Von Ferne hörte sie Catherines besorgte Stimme.
    »Geht schon wieder«, flüsterte sie.
    Die Übelkeit verflog, wie sie gekommen war. Alexa strich sich die Haare aus der Stirn.
    Catherine blickte sie an, taxierend. »Bist du sicher…?«
    Alexa hob den Kopf. Die Gemüsefrau lächelte freundlich zu ihr herüber. Die Sonne schien wieder hell. »Ganz sicher.«
    Langsam gingen sie weiter. Catherine grüßte nach allen Richtungen, rief der einen ein fröhliches Ça va! zu,
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