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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin
Autoren: Anne Chaplet
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Tischtuch zu streichen. »Möchtest du nicht erst einmal…«, murmelte er.
    Madame fand das auch. »Sehen Sie mal, hier!«
    Widerwillig hatte Alexa die Farbfotos in die Hand genommen und eines nach dem anderen angeschaut.
    »Das Haus ist etwas ganz Besonderes.« Täuschte sie sich, oder schickte Madame ihm einen verschwörerischen Blick zu? Er jedenfalls nickte zurück, mit diesem beschwichtigenden Männerlächeln, das wohl »Achten Sie nicht weiter auf meine kleine Freundin, sie ist ein bißchen abergläubisch« bedeuten sollte. Alexa erinnerte sich gut an das Gefühl, das in diesem Moment heiß in ihr hochgestiegen war. Trotz. Sie hatte das Geld.
    »Was wollten Sie noch sagen über die Bauers…?«
    Madame versuchte, möglichst unbeteiligt zu gucken. » Au début – die Liebe, et après , nun ja…« Es war genau, wie sie befürchtet hatte. Sven und Felicitas Bauer hatten sich getrennt, schon kurze Zeit nachdem sie das Haus gekauft hatten. Sie war die Treppe zum Dachboden heruntergestürzt. »Was hatte sie da auch zu suchen?« kommentierte Madame mit strengem Blick, so, als ob man Frauen ›in ihrem Zustand‹ das Betreten von Dachböden regierungsamtlich verbieten müßte. Felicitas Bauer hatte das Kind verloren, mit dem sie im vierten Monat schwanger war.
    »Monsieur war désolé , und sie – nun, wie das so ist…«
    Wie ist das so, hatte sich Alexa gefragt? Wie ist das, wenn man ein ungeborenes Kind verliert? Schlimmer – oder weniger schlimm, als wenn ein Mensch stirbt, den man sein Leben lang kennt?
    »Und die Vorbesitzer?« Alexa hielt noch immer die Bilder in der Hand. Es ging etwas Eigenartiges aus von dem Licht und den Farben des alten Hauses vor dem eisig blauen Himmel.
    Madame machte mit den Händen flatternde Bewegungen, als ob sie einen kläffenden Hund beruhigen wollte. »Die armen Silbermanns…«
    Die armen Silbermanns hatten vier Jahre lang die Ferien im Haus verbracht. Er war Architekt, sie Fotografin. Ein Paar aus Paris, nicht mehr ganz so jung wie die Bauers, gutsituiert und unproblematisch, wie Madame andeutete – keine Kinder, keine Hunde. Eines Tages im vergangenen Herbst war Ada Silbermann verschwunden und nie wieder zurückgekehrt. Nach kurzer Zeit verkaufte Ernest Silbermann das Haus.
    »All die Erinnerungen… Der arme Mann…« Madame war offenbar auf das Mitleid mit Männern spezialisiert.
    »Und – vor den Silbermanns?« fragte Alexa schließlich, obwohl er sie wie ein Gemarterter ansah, die Augenbrauen zusammengezogen, die braunen Augen noch dunkler als sonst, den Finger auf die Narbe in der Unterlippe gelegt. Wahrscheinlich hätte er am liebsten »Jetzt entscheide dich doch endlich mal!« gesagt.
    Die Dervalle entspannte sich wieder. »Madame Champetier hat hier gewohnt, mit ihrem kleinen Hündchen, bis kurz vor ihrem Tod.«
    Hoffentlich ist sie an Altersschwäche gestorben, hatte Alexa noch gedacht und sich bemüht, nicht allzu interessiert auf die Fotos zu starren.
    »So eine fröhliche Frau. Und das, obwohl…« Die Maklerin biß sich auf die Lippen und schaute zur Seite.
    »Obwohl was?«
    »Nun, es hieß, nachdem das mit ihrem Mann passiert war…«
    Alexa versuchte, seinen Blick zu erhaschen.
    Aber er hatte die Augen geschlossen und schien den Kopf zu schütteln. Sie hätte ihn zugleich küssen und schlagen mögen. Es wird auch dein Haus sein, hätte sie am liebsten gerufen. Willst du mit Gespenstern leben?
    »Was war mit dem Mann von Madame Champetier?« Sie fürchtete das Schlimmste.
    »Also…«
    Unter gesenkten Wimpern schielte die Dervalle zu ihm hinüber. Diesmal wich er auch dem Blick der Maklerin aus.
    Madame seufzte. »Alphonse Champetier ist im Sommer 1942 ermordet worden. Man hat nie erfahren, von wem.«
    Alexa spürte, wie ihr Unbehagen wieder anschwoll. 1942 – das war mitten im Zweiten Weltkrieg. Frankreich war von den Deutschen besetzt. Hatte der Tod des Alphonse damit zu tun? Spätestens jetzt hätte sie das Gespräch abbrechen, hätte sie nein sagen müssen.
    Denn das kriecht einem Haus in die Poren – alles, was mit Tod, Einsamkeit, Trauer, gescheiterter Liebe zu tun hat. Das steckt drin in den Mauern, wie ein böser Geist. Und wie ein Pesthauch überfällt es das nächste Opfer, das sich nähert. Und dann… Alexa fühlte, wie ihr kalt wurde.
    Andererseits – was sie auf den Fotos sah, gefiel ihr. Es gefiel ihr immer besser, nein: es entsprach ihren kühnsten Visionen. Wenigstens ansehen mußte sie sich das Haus, wenigstens einmal auf dieser
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