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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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Bären stärker anziehen. Vielleicht enthalten diese Äpfel besonders viel Zucker und schmecken daher süßer. Da die Bären diese wohlschmeckenden Äpfel bevorzugen, werden diese auch tendenziell mehr gefressen und somit im Wald weiter verbreitet. Daher ist zu erwarten, dassmehr der wohlschmeckenden Äpfel Sämlinge austreiben können, die zu den Apfelbäumen der nächsten Generation heranwachsen. Ist der Wohlgeschmack erblich, so steigt damit der Gesamtanteil an Bäumen, die wohlschmeckende Äpfel produzieren, auf sagen wir zwei Prozent. Über mehrere Generationen hinweg nimmt dieser Anteil ständig zu, bis der Bestand vollständig aus Bäumen mit wohlschmeckenden Äpfeln besteht, die die Bären effektiver aussäen. Durch natürliche Selektion sind die Bäume für die Fortpflanzung in ihrem Lebensraum nun besser angepasst als zuvor.
    Solche Szenarien illustrieren die allgemeinen Eckpunkte, nach denen die natürliche Selektion funktioniert, aber zugleich werfen sie auch zahlreiche Fragen auf. Häufig fasst man den Prozess mit dem Schlagwort survival of the fittest zusammen. Was aber verstehen wir unter the fittest ? Meinen wir damit die, die am Ende überleben und die anderen zum Ausscheiden zwingen, wie die Bäume mit den besser schmeckenden Äpfeln? Aber resultiert in diesem Fall aus der natürlichen Selektion nicht das Überleben der Überlebenden, und damit ein Zirkelschluss? Warum überhaupt produzieren Organismen in der Regel weitaus mehr Samen oder Nachkommen, als je überleben könnten? Warum produzieren sie nicht einfach in etwa die Zahl an Nachkommen, die es auch bis ins Erwachsenenalter schaffen können? Und woher stammen all die verschiedenen Merkmale, etwa der unterschiedliche Geschmack von Äpfeln, denn ursprünglich? Um solche Fragen befriedigend beantworten zu können, müssen wir etwas genauer betrachten, wie die Evolution eigentlich funktioniert.
    Üblicherweise werden für die Evolution durch natürliche Selektion drei Hauptprinzipien ausgewiesen. Erstens: Die einzelnen Mitglieder einer Art unterscheiden sich voneinander. Zweitens: Individuell variierende Anlagen sind in gewissem Ausmaß erblich, werden also von einer Generation an die nächste weitergereicht. Drittens: Die Vermehrung der Organismen übersteigt die Kapazitäten der Umwelt, so dass unvermeidlich sehr viele sterben. Die natürliche Selektion ist eine logische Folge aus dem gemeinsamen Auftreten dieser drei Elemente. 9
    Meine Darstellung der natürlichen Selektion und der Evolution weicht von dieser dreigliedrigen Beschreibung etwas ab. Ich beschreibe den Prozess nämlich über sieben Prinzipien. Zudem verwende ich manchmal Begriffe, die nicht besonders gut zu denen passen, die sich eingebürgert haben. Ich verwende diesen abweichenden Ansatz deshalb, weil ich nicht nur darstellen will, wie die Evolution funktioniert, sondern auch die Grundparameter aufzeigen möchte, die sie mit biologischer Entwicklung, Lernen und kulturellem Wandel gemeinsam hat.
    Wenn wir das Wesen eines Prozesses begreifen wollen, ist es oft hilfreich, Gemeinsamkeiten aufzudecken. Denken wir an die bereits erwähnten Übergänge zwischen den Aggregatzuständen von Wasser. Wenn wir untersuchen, wie Wasser kocht, dann kommen wir etwa zur folgenden Annahme: Wenn dem System über Erhitzung Energie zugeführt wird, erhalten die Wassermoleküle mehr Energie und werden immer beweglicher, bis sie irgendwann so unabhängig voneinander werden, dass sie sich zu Wasserdampf ausdehnen. Dieselbe Erklärung kann auch das Schmelzen von Eis beschreiben, nur dass das Wasser sich bei dieser Veränderung nicht ausdehnt, sondern kontrahiert. Im Eis werden die Wassermoleküle nämlich in einer bestimmten Nahordnung angeordnet, die kollabiert, wenn die Moleküle beim Schmelzen befreit werden. Deshalb schwimmt Eis auf Wasser – seine Dichte ist geringer als die des flüssigen Wassers. Dass eine Flüssigkeit eine höhere Dichte aufweist als derselbe Stoff im Festzustand, ist recht ungewöhnlich – die meisten Festkörper verlieren beim Schmelzen an Dichte. Dieses anormale Verhalten des Wassers in verschiedenen Aggregatzuständen ist aber sehr informativ, weil wir daraus schließen können, dass Erwärmen keineswegs grundsätzlich zur Ausdehnung führt. 10 Entscheidend ist dagegen, dass die Moleküle mehr Energie tragen und größere Bewegungsfreiheit erlangen können; und dies sind die Merkmale, die den verschiedenen Übergängen gemeinsam sind. Wenn wir Gemeinsamkeiten
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