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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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ihrer biologischen Entwicklung die Evolutionsgeschichte, ist ein typisches Beispiel dafür. Natürlich besteht ein Zusammenhang zwischen dem Prozess, wie eine Eizelle sich entwickelt, und dem der Evolution; denn erst durch die Evolution ist der Prozess der biologischen Entwicklung überhaupt entstanden. Doch mit dem Versuch, diesen Zusammenhang so weit zu treiben, dass der Entwicklungsprozess den Weg der Evolution buchstäblich nachgeht, schießt Haeckel schließlich weit über das Ziel hinaus. Er verfehlt das angemessene Abstraktionsniveau und stellt somit am Ende falsche, nutzlose Vergleiche auf. Edelmans Theorie, das Gehirn arbeite nach Darwin’schen Prinzipien, wurde in ähnlicher Weise kritisiert, weil er einen zu engen Vergleich zwischen zu weit auseinander liegenden Prozessen anzustellen versuchte.
    Um auf gemeinsame Prinzipien schließen zu können, müssen wir auf einem angemessenen Abstraktionsniveau arbeiten. Und das erreichen wir nur, wenn wir klar herausstellen, was wir womit vergleichen. Krieg und Schach können wir nur dann sinnvoll vergleichen, wenn wir die Bedeutung beider Phänomene erkannt haben. Wir müssen weder Schach- noch Militärexperten sein, aber wir müssen sehr wohl eine allgemeine Vorstellung davon haben, wie Brettspiele und militärische Auseinandersetzungen funktionieren. Auf dieser Grundlage können wir sowohl die Ähnlichkeiten als auch die Unterschiede zwischen beiden Prozessen benennen. Bei Krieg wie bei Schach geht es um Territorien – aber wir sind uns dessen bewusst, dass Territorium dabei jeweils etwas ganz anderes bedeutet. Beim Krieg geht es um Land, während es sich beim Schach um ein Gebiet auf einem Spielbrett handelt.
    Genauso müssen wir, um auf die gemeinsamen Prinzipien beim Wandel des Lebendigen schließen zu können, die Funktionsweise jedes einzelnen dieser Wandlungsprozesse umfassend begriffen haben. Möglich wurde dies erst kürzlich durch Fortschritte in der wissenschaftlichen Erkenntnis, insbesondere in den Bereichen biologische Entwicklung und Lernen. Frühere Vergleiche scheiterten am fehlenden Wissen über die einzelnen Prozesse: Wir verwechselten das Gewohnte mit dem Grundlegenden oder arbeiteten aufeinem unangemessenen Abstraktionsniveau. Wie können wir nun bei der Behandlung dieser Frage vorgehen?
DIE FORMEL DES LEBENS
    Der chinesische Kunsttheoretiker Xie He formulierte im 6. Jahrhundert sechs Prinzipien, nach denen sich die Qualität eines Gemäldes beurteilen lässt. 5 Grob übersetzt sind das: Lebendigkeit, Pinselduktus, natürliche Darstellung, Farbgebung, Komposition und Kopieren. Mit Ausnahme der Farbe lassen sich all diese Aspekte an Sechs Kaki-Früchte (Abb. 1) illustrieren, einer Zeichnung des Mönchs Mu-hsi aus dem 13. Jahrhundert. Die sechs Kriterien sind voneinander nicht völlig unabhängig. Ihre Lebendigkeit verdankt Mu-hsis Zeichnung zum Teil dem lebendigen Pinselduktus. Und die Komposition beruht auf einem Arrangement von Früchten, die vielleicht kopiert wurden. Es ging Xie He also weniger um eine Reihe unabhängiger Kriterien als um die Bereitstellung einiger einander beeinflussender Schlüsselbegriffe, die er für die Beurteilung der Malerei für hilfreich hielt. Andere würden vielleicht eine andere Liste aufstellen – ob wir Xie Hes Auswahl gutheißen oder nicht, hängt davon ab, inwiefern sie uns bei der Organisation unseres kunstgeschichtlichen Wissens von Nutzen ist.
    (1)  Sechs Kaki-Früchte , Mu-hsi, um 1269. Daitoku-ji, Kyoto.
    Dasselbe gilt für die Organisation unserer Überlegungen. Unser Verständnis von Prozessen wie Evolution, biologische Entwicklung, Lernen und kultureller Wandel lässt sich auf viele Weisen darstellen. Ich wähle hier einen bestimmten Blickwinkel, der einige übergreifende Kriterien hervorhebt. Sieben Schlüsselbegriffe möchte ich aufstellen, die den Prozessen von der Evolution einer Bakterie bis zur Funktionsweise unseres Gehirns zu Grunde liegen. Die Zahl sieben ist dabei frei von aller Mystik; die sieben Prinzipien ergeben sich von ganz allein, so wie Xie He für die Malerei eben sechs Prinzipien für notwendig hielt.
    Unsere sieben Prinzipien sind die Parameter der Formel, die ich die Formel des Lebens nenne. Diese Formel beschreibt wie eine Rezeptur das Zusammenspiel der sieben Prinzipien. Sie sind die Zutaten für das Rezept, nach dem sich das Leben seit Anbeginn selbst organisiert. Die Evolution unterschiedlicher Organismen, die Entwicklung von der Eizelle zum Erwachsenen, das Erlernen
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