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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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unserem wissenschaftlichen Verständnis von Evolution, biologischer Entwicklung und Lernen Zugang zu einem einheitlichen Gesamtbild davon verschafft haben, wie lebende Systeme sich selbst verändern können, und das von der ersten Bakterie bis zur Erschaffung eines künstlerischen Meisterwerks. Erstmals können wir eine gemeinsame Reihe von Parametern und Mechanismen ausmachen, die derartige Wandlungsprozesse bedingen.
    Wozu soll es aber gut sein, solche gemeinsamen Parameter ausfindig zu machen? Eigentlich ist doch die Erforschung von Evolution, biologischer Entwicklung, Lernen und Kultur bisher ganz gut zurechtgekommen, ohne sich um übergreifende Bezüge zu kümmern. Was gewinnen wir, wenn wir diese vier Vorgänge durch dieselbe Brille betrachten? Nehmen wir einmal an, wir vergleichen das Schmelzen von Eis mit dem Kochen von Wasser. Beide Vorgänge unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht: Beim ersten wird ein Feststoff bei etwa 0 °C in eine Flüssigkeit verwandelt, beim zweiten dagegen wird bei 100 °C eine Flüssigkeit zu einem Gas. Und doch lassen sich an diesen beiden Umwandlungen viele gemeinsame Merkmale feststellen: Bei beiden verändern sich Stärke und Energie der Wechselwirkung zwischen Wassermolekülen. Beides sind unterschiedliche Ausprägungen desselben grundlegenden Prozesses. Mit dieser vereinheitlichenden Perspektive gewinnen wir ein tieferes Verständnis für die Abläufe, als wir es durch die getrennte Beobachtung beider Vorgänge erhielten. Und wenn wir die Gemeinsamkeiten hinter verschiedenen Umwandlungsprozessen des Lebens betrachten, kann uns das helfen, das Wesentliche an jedem dieser Vorgänge zu verstehen, und uns zugleich einen breiteren Überblick verschaffen.
    Für Evolution, biologische Entwicklung und Lernen mag dieser Ansatz vernünftig sein, da alle drei Prozesse intensiv erforscht werden. Ihn auch auf den kulturellen Wandel anzuwenden, mag dagegen weit hergeholt erscheinen. Wir neigen zu der Ansicht, dass menschliche Kreativität und Kultur so kompliziert und so spezifisch human sind, dass die Naturwissenschaft dazu kaum etwas beizutragen hat. Betrachten wir aber die Wandlungsprozesse des Lebens als Gesamtheit, so erkennen wir, dass die Naturwissenschaft darin eine Doppelrolle einnimmt. Die Naturwissenschaft verleiht uns einerseits Wissen über die Welt und unseren Platz darin und gibt unserer Kultur einen Rahmen. Andererseits ist die Naturwissenschaft selbst ein Produkt der Kultur, das Ergebnis der jahrelangen kollektiven Arbeit vieler Menschen, die ihre Umwelt erklären wollen. Nur wenn wir alle Wandlungsprozesse des Lebens gemeinsam betrachten, können wir uns dieser Dualität unseres Handelns bewusst werden, in der die Wissenschaft unsere Kultur sowohl umrahmt als auch von ihr umrahmt wird. Damit gewinnen wir ein weiteres Verständnis nicht nur dafür, wie kultureller Wandel entsteht, sondern auch dafür, wie er zu unserer biologischen Vergangenheit in Bezug steht.
    Warum aber haben wir so lange gebraucht, um zu dieser kollektiven Perspektive zu gelangen?
GESCHICHTE UND FORM
    Auf den ersten Blick sind Krieg und Schach etwas völlig Verschiedenes. Im Krieg bekämpfen und töten Völker einander, während beim Schach zwei Personen friedlich an einem Spieltisch sitzen und Holzfiguren umherschieben. Doch trotz aller offensichtlichen Unterschiede besteht zwischen den beiden Tätigkeiten ein enger Zusammenhang. Zunächst einmal historisch: Der Ursprung des Schachspiels lässt sich zurückverfolgen bis zu dem Spiel Chatrang, das im 5. und 6. Jahrhundert in Persien gespielt wurde  3 und selbst vielleicht auf das indische Spiel Chaturanga zurückgeht. Wie das moderne Schach war Chatrang ein Spiel für zwei Spieler mit 32 Steinen auf einem Brett mit 64 Feldern. Jeder Spieler verfügte über eine Armee aus zwei Elefanten, zwei Pferden, zwei Wagen und acht Fußsoldaten. Das entsprach den damals wichtigsten Kampfeinheiten – im modernen Schach werden sie durch Läufer, Springer, Türme und Bauern ersetzt. Es gab auch einen König und einen Minister (diemoderne Königin). Ziel des Spiels war es, den gegnerischen König zu fassen oder in die Falle zu locken. Das Spiel veranschaulichte, wie ein Heer ein anderes mit Strategie und List besiegen und überwältigen konnte. Chatrang war in seiner Zeit genauso ein Kriegsspiel, wie es sie heute für die Playstation gibt.
    Schach und Krieg lassen sich auch in Zusammenhang bringen, wenn man von der historischen Verbindung absieht. Bei beiden
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