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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende
Autoren: Karin Alvtegen
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Stühle. Die geblümten Gardinen waren von Fliegenschiss gesprenkelt. Sibylla zog sie zu, nahm einen Messingleuchter aus dem Regal und zündete die Kerze an. Fröstelnd zog sie den Reißverschluss ihres Anoraks bis zum Kinn hoch und ging zu dem Petroleumofen. Der Tank war fast leer, und im Lauf des Nachmittags würde sie zur Tankstelle gehen und noch Brennstoff kaufen müssen. Nachdem sie den Ofen eingeheizt hatte, nahm sie eine Porzellanschale aus dem Schrank, legte die Äpfel und die Tomate darauf und stellte sie auf den Tisch. Das Leben hatte sie die kleinen Dinge des Daseins schätzen gelehrt, und deshalb machte sie es sich so schön wie möglich. Sie nahm ihren Schlafsack aus dem Rucksack und verteilte die dicken Polster auf dem Fußboden. Sie waren klamm, und deshalb breitete sie, bevor sie sich hinlegte, ihre Isomatte darüber.
    Die Arme unter dem Kopf studierte sie die Paneele an der Decke und beschloss, das Grand Hotel zu vergessen. Niemand wusste, dass sie dort gewesen war, und es war unwahrscheinlich, dass sie herausbekommen würden, wer sie war.
    In dieser Gewissheit geborgen und ohne eine einzige böse Vorahnung, sank sie langsam immer tiefer in den Schlaf.
    Schon als sie dieses effiziente Klopfen an der Klassenzimmertür hörte, wusste sie, wer auf der anderen Seite stand. Sie war in der sechsten Klasse, sie hatten gerade Erdkunde und aller Augen richteten sich auf die geschlossene Tür.
    « Herein!»
    Die Lehrerin seufzte und ließ das Buch sinken, das sie in der Hand hielt. Beatrice Forsenström öffnete die Tür und trat ein.
    Sibylla schloss die Augen.
    Sie wusste, dass die Lehrerin die unangemeldeten Besuche ihrer Mutter genauso wenig mochte wie sie. Kleine Stippvisiten, die die Konzentration störten und stets in der Forderung nach einer Sonderbehandlung für Sibylla endeten.
    Diesmal ging es um den Verkauf von Weihnachtsgarben. Einige Eltern hatten sich an einem Donnerstagabend getroffen, um Garben und Kränze zu binden, und die Schülerinnen und Schüler sollten nun damit von Tür zu Tür gehen, um Geld für die Klassenfahrt im Frühling zusammenzubekommen.
    Beatrice Forsenström hatte nicht mitgemacht.
    Kollektiver Elterneinsatz war nichts für sie, und einen ganzen Donnerstagabend herumzusitzen und sich mit bäuerlichen Albernheiten zu beschäftigen war weit unter ihrer Würde, und das galt für ihre Tochter wahrlich auch. Dass diese wie eine hergelaufene Bettlerin herumrennen und an fremde Türen klopfen sollte, das war völlig ausgeschlossen. Sie hatte den Zettel, den Sibylla aus der Schule mit nach Hause gebracht hatte, zusammengeknüllt und in den Papierkorb geworfen.
    «Wie viel wird denn jede Schülerin voraussichtlich bei diesem Verkauf an der Haustür einnehmen?»
    Die Gereiztheit in Beatrice Forsenströms Stimme konnte niemand im Raum überhören.
    Die Lehrerin stellte sich hinters Pult.
    «Nun, das kommt darauf an», sagte sie. «Ich weiß nicht genau, wie viel wir erwarten können.»
    «Sobald Sie es wissen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich informieren könnten. Meine Tochter wird an dem Verkauf nicht teilnehmen.»
    Die Lehrerin sah Sibylla an. Diese senkte den Blick und sah in ihr Erdkundebuch, das aufgeschlagen auf der Bank lag: Niskan, Atran, Nissan, Lagan.
    «Ich glaube aber, dass die Kinder es spannend finden», hörte sie die Lehrerin sagen.
    « Das ist schon möglich. Aber für Sibylla trifft das nicht zu. Sie bekommen das Geld von mir, sobald ich weiß, um welche Summe es sich handelt.»
    «Aber wir haben diese Initiative doch gerade ergriffen, damit die Eltern für die Klassenfahrt nicht extra Geld ausgeben müssen.»
    Beatrice Forsenström blickte plötzlich zufrieden drein. Sibylla begriff, dass ihre Mutter die Lehrerin dazu gebracht hatte, genau die Worte zu sagen, auf die sie gehofft hatte, denn nun hatte sie einen Anlass, das auszusprechen, was sie von alldem wirklich hielt.
    Sibylla schloss die Augen.
    «Ich finde es bemerkenswert, muss ich sagen, dass die Schule solche Beschlüsse fasst, ohne dass alle Eltern ihre Meinung dazu äußern konnten. Es ist schon möglich, dass bestimmte Eltern diese Aktion für eine gute Notlösung halten, doch ich ziehe es vor, für mein Kind zu bezahlen, wenn es nötig ist. In Zukunft möchten ich und mein Mann gefragt werden, bevor Sie solche kollektiven Beschlüsse fassen.»
    Die Lehrerin sagte nichts mehr.
    Sibylla hörte, wie sich ihre Mutter umdrehte und ging.
    Dabei hätte sie mit Erika gehen sollen. Die Lehrerin hatte sie
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