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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Autoren: Howard Jacobson
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noch am Leben war – der Klavierstuhl war ihr heilig gewesen, er hätte sich ebenso wenig darauf gesetzt, wie er zu ihr ins Bad geplatzt wäre. Wie oft aber hatte er hinter ihr gestanden, während sie spielte, hatte sie anfangs sogar noch auf der Geige begleitet, stand später dann, auf ihr stilles Drängen hin (»Tempo, Libor, Tempo!«), ohne Geige hinter ihr und
freute sich über ihr Können, über den Geruch ihrer Haare, Aloe und Weihrauch (alle Düfte Arabiens), ihren schön geschwungenen Hals. Ein Hals, so grazil, hatte er an dem Tag gesagt, an dem sie sich kennenlernten, wie der Hals eines Schwans. Sein Akzent hatte Malkie verstehen lassen, ihr Hals sei grazil wie ein schwants , was sie an ein jiddisches Wort erinnerte, das ihr Vater oft benutzt hatte und das Penis bedeutete. Fand Libor ihren Hals wirklich so grazil wie einen Penis?
    Hätte sie nicht Libor geheiratet, wäre Malkie Hofmannsthal wohl eine erfolgreiche Konzertpianistin geworden. In einem Salon in Chelsea hatte Horowitz sie gehört und gelobt. Gerade so müssten die Stücke klingen, hatte er gesagt, als komponierte Schubert sie im Augenblick des Spiels – emotionale Improvisation mit einem kräftigen Unterton von Intellektualität. Malkies Familie bedauerte die Heirat aus vielerlei Gründen, man fand Libors Intellekt, seine Herkunft, seine journalistische Tätigkeit und seine Freunde unter Niveau. Das Bedauerlichste aber war, dass Malkie damit auf ihre musikalische Zukunft verzichtete.
    »Warum heiratest du nicht Horowitz, wenn du schon wen heiraten musst?«, fragten ihre Eltern.
    »Er ist doppelt so alt wie ich«, erklärte Malkie. »Da könntet ihr mich genauso gut fragen, warum ich nicht gleich Schubert selber heirate.«
    »Wer behauptet denn, dass ein Ehemann nicht doppelt so alt sein darf wie seine Frau? Musiker leben ewig. Und wenn du ihn überlebst, na ja, dann …«
    »Er bringt mich nicht zum Lachen«, sagte sie. »Libor schon.«
    Sie hätte auch hinzufügen können, dass Horowitz bereits Toscaninis Tochter geheiratet hatte.
    Und dass Schubert an Syphilis gestorben war.
    Sie sollte ihre Entscheidung nie bereuen. Nicht, als sie Horowitz in der Carnegie Hall spielen hörte – ihre Eltern hatten die Reise nach Amerika bezahlt, damit sie Libor vergessen sollte,
und sie hatten ihr eine Karte für die erste Reihe besorgt, damit Horowitz sie nicht übersehen konnte –, nicht, als Libor sich einen Namen als Journalist im Showbusiness machte und ohne sie nach Cannes, Monte Carlo und Hollywood fuhr, auch nicht, wenn er eine seiner tschechischen Depressionen bekam, nicht einmal, wenn Marlene Dietrich, die unfähig war, sich vorzustellen, dass anderswo auf der Welt die Uhrzeit anders sein könnte als bei ihr zu Hause, morgens um halb vier Uhr aus dem Chateau Marmont in ihrer Londoner Wohnung anrief, Libor »mein Darling« nannte und in den Telefonhörer schluchzte.
    »In dir finde ich meine Erfüllung«, sagte Malkie zu Libor. Einem Gerücht zufolge hatte Marlene Dietrich ihm Ähnliches gestanden, doch entschied Libor sich trotzdem für Malkie, deren Hals grazil wie der eines schwants war.
    »Du darfst nie aufhören zu spielen«, beschwor er sie und kaufte ihr auf einer Auktion in Südlondon einen Steinway mitsamt vergoldeten Kandelabern.
    »Werde ich nicht«, sagte sie. »Ich spiele jeden Tag – aber nur, wenn du bei mir bist.«
    Sobald er es sich leisten konnte, kaufte er ihr einen Bechstein-Konzertflügel mit Ebenholztasten. Sie wünschte sich einen Blüthner, aber er duldete nichts in der Wohnung, was hinter dem Eisernen Vorhang angefertigt worden war.
    Als sie dann älter wurden, nahm sie ihm das Versprechen ab, dass er nicht vor ihr sterben würde, so unvorstellbar fand sie den Gedanken, auch nur eine Stunde ohne ihn zu leben – ein Versprechen, das er getreu hielt.
    »Lach mich aus«, sagte er zu Treslove, »aber ich sank auf die Knie, um ihr dieses Versprechen zu geben, genau wie damals, als ich ihr meinen Antrag machte. Das ist auch der einzige Grund, warum ich noch lebe.«
    Da es ihm die Sprache verschlagen hatte, kniete Treslove sich ebenfalls hin und küsste Libors Hand.

    »Wir haben uns sogar überlegt, ob wir nicht gemeinsam vom Bitchy ’Ead springen sollten, wenn einer von uns unheilbar krank wird«, erzählte Libor, »aber Malkie meinte, ich sei zu leicht, also würde ich bestimmt nicht gleichzeitig mit ihr im Meer landen. Und ihr gefiel die Vorstellung nicht, im Wasser auf mich warten zu müssen.«
    »Bitchy ’Ead?«, fragte
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