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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Autoren: Howard Jacobson
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offiziellem Briefkopf von jemandem aus der künstlerischen Leitung des Senders – der Name des Beschwerdeführers war ihm unbekannt – wurde ihm angeraten, während seiner Sendung weniger morbide Themen anzuschneiden und nicht so oft traurige Musik zu spielen. »Derartiges
passt besser zu Radio Three«, schloss der Brief. Treslove schrieb zurück, seine Sendung laufe aber trotzdem auf Radio Three, erhielt aber keine Antwort.
    Nachdem er länger als ein Dutzend Jahre in tiefster Nacht über die Flure des Rundfunkhauses gegeistert war, stets in dem Wissen, dass niemand seine Sendungen zur Kenntnis nahm – wer wollte sich auch schon um drei Uhr morgens anhören, wie lebende Dichter über tote Dichter redeten, wenn nicht vielleicht sogar umgekehrt –, kündigte er. »Fiele es irgendwem auf, wenn meine Sendungen nicht mehr liefen?«, fragte er in seinem Kündigungsschreiben. »Würde irgendwer meine Abwesenheit bemerken, wenn ich einfach nicht mehr käme?« Wieder erhielt er keine Antwort.
    Auch Tantchen hörte nicht zu.
    Er antwortete auf eine Zeitungsannonce und bewarb sich um den Posten des stellvertretenden Direktors eines neuen Kulturfestivals an der Südküste. »Neu« hieß: eine Schulbibliothek, in der es statt Büchern nur Computer gab, drei Gastredner und kein Publikum. Es erinnerte ihn an die BBC. Die leitende Direktorin formulierte seine Briefe in schlichteres Englisch um, im Gespräch mit ihm tat sie das auch. Zum Krach kam es, als sie über den Wortlaut für einen Prospekt stritten.
    »Warum ›stimulierend‹, wenn man auch ›sexy‹ sagen kann?«, fragte sie ihn.
    »Weil ein Kulturfestival nicht sexy ist.«
    »Und weißt du auch warum? Weil du drauf bestehst, Worte wie ›stimulierend‹ zu benutzen.«
    »Was ist daran schlecht?«
    »Das ist so indirekt.«
    »An ›stimulierend‹ ist nichts indirekt.«
    »Allein schon, wie du es aussprichst.«
    »Wollen wir es als Kompromiss dann mit ›ekstatisch‹ versuchen? «, fragte er ohne alle Ekstase.

    »Willst du es als Kompromiss nicht mit einem neuen Job versuchen?«
    Sie hatten miteinander geschlafen. Es gab sonst nichts zu tun. Sie paarten sich auf dem Boden der Sporthalle, als niemand zum Festival kam. Ihre Birkenstocks behielt sie an. Dass er sie liebte, merkte er erst, als sie ihn feuerte.
    Sie hieß Julie, und auch das fiel ihm erst auf, als sie ihn feuerte.
    Hulie.
    Danach schlug er sich eine Karriere im Kulturbereich aus dem Kopf, um es mit einer Reihe unpassender Jobs und ebenso unpassender Beziehungen zu versuchen, verliebte sich, sobald er eine Stelle antrat, und entliebte sich – wurde vielmehr entliebt – , wann immer er etwas Neues begann. Er fuhr einen Umzugstransporter und verliebte sich in die erste Frau, deren Haus er leer räumte, fuhr mit einem Elektroauto Milch aus und verliebte sich in die Kassiererin, die ihm jeden Freitagabend den Lohn zahlte, arbeitete als Gehilfe eines italienischen Tischlers, der alte Schiebefenster in viktorianischen Häusern gegen neue austauschte und Julian Treslove in der Gunst der Kassiererin ersetzte, war Abteilungsleiter in einem berühmten Londoner Schuhgeschäft und verliebte sich in die Frau, die ein Stockwerk höher die Textilabteilung leitete, bis er schließlich eine halbwegs feste, wenn auch schlecht bezahlte Anstellung bei einer Theateragentur fand, die sich darauf spezialisiert hatte, Doppelgänger berühmter Leute auf Partys, Konferenzen und Firmentreffen zu schicken. Treslove glich keiner bestimmten Berühmtheit und war deshalb weniger aus Gründen der Ähnlichkeit als aus denen seiner Vielseitigkeit gefragt.
    Und die Frau aus der Textilabteilung? Sie verließ ihn, als er das Double von niemand Bestimmtem wurde. »Ich mag es nicht, wenn ich nicht weiß, wer du angeblich bist«, sagte sie. »Das wirft auf uns beide kein gutes Licht.«

    »Du darfst wählen«, sagte er.
    »Ich will nicht wählen, ich will wissen. Ich sehne mich nach Gewissheit. Ich muss wissen, dass du mit mir durch dick und dünn gehst. Den ganzen Tag arbeite ich mit Flaum und Fusseln, wenn ich dann nach Hause komme, will ich was Festes. Ich brauche einen Felsen, kein Chamäleon.«
    Sie hatte rotes Haar, entzündete Haut und ein so flammendes Temperament, dass Treslove sich stets davor gefürchtet hatte, ihr allzu nahezukommen.
    »Ich bin ein Fels«, beteuerte er aus sicherer Distanz. »Ich werde bis zum Ende bei dir bleiben.«
    »Wenigstens damit hast du recht«, sagte sie. »Dies ist nämlich das Ende. Ich verlasse
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