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Die Filmerzaehlerin

Die Filmerzaehlerin

Titel: Die Filmerzaehlerin
Autoren: Hernán Rivera Letelier
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ihren Namen geändert hatte in einen, der künstlerischer klang? Ob sie noch immer diese wunderschönen Seidentücher trug? Halb erstickt unter den Zudecken, stellte ich mir vor, wie sie leicht bekleidet tanzte, und die Bühne war mit bunten Lichtern geschmückt, die an- und ausgingen. Ungefähr zu der Zeit hatte ich nämlich über ein paar Frauen, die sich in der Brotschlange unterhielten, mitbekommen, dass meine Mutter als Tänzerin zu einer Varieté-Revue gegangen war.
    Sie sagten, die Magnolia habe sich »ihr hohles Köpfchen verdrehen lassen« vom Direktor einer Tanztheatertruppe, die in der Siedlung gastierte. Der habe ihr versprochen, sie mit in die Hauptstadt zu nehmen und dort zum Revuestar zu machen. Eins verstand ich nicht richtig, eine sagte nämlich mit einem Augenzwinkern zu den anderen etwas in der Art, diese Flucht hätten ja etliche Witwer beweint, aber am schlimmsten habe es doch den Herrn Verwalter getroffen.
    Meine Mutter war sechsundzwanzig, als sie fortging. Und obwohl sie in fünf Jahren hintereinander fünf Kinder geboren hatte (das erste mit vierzehn), besaß sie eine beneidenswert gute Figur. Das weiß ich noch genau, weil ich sie öfter, wenn wir allein im Haus waren, in Unterwäsche vor dem Spiegel hatte tanzen sehen.
    Nur ihr Gesicht verschwamm in meiner Erinnerung immer mehr, löste sich auf wie das Gesicht einer Schauspielerin, die schon lange keine Filme mehr dreht. Außerdem passierte mir noch was: Weil ich so viele Filme sah und erzählte, vermischten die sich oft mit der Wirklichkeit. Es fiel mir schwer, auseinanderzuhalten, ob ich etwas erlebt oder auf der Leinwand gesehen hatte. Oder ob ich es geträumt hatte. Manchmal hielt ich nämlich sogar meine eigenen Träume nachher für Szenen aus Filmen.
    Dasselbe passierte mir mit den schönsten Erinnerungen an meine Mutter. Die Bilder von den kurzen glücklichen Momenten mit ihr verflüchtigen sich unaufhaltsam in meiner Erinnerung wie Szenen aus einem alten Film.
    Einem Film in Schwarzweiß.
    Und stumm.
    24
    Einmal las ich einen Satz (bestimmt von einem berühmten Autor), der hieß in etwa, das Leben sei aus dem gleichen Stoff gemacht wie die Träume. Ich behaupte, das Leben kann gerade so gut aus dem gleichen Stoff sein wie die Filme.
    Einen Film zu erzählen ist, als erzählte man einen Traum.
    Ein Leben zu erzählen ist, als erzählte man einen Traum oder einen Film.
    25
    Unterdessen wuchs mein Ruhm und wuchs. So sehr, dass mich die Leute jetzt auch zu sich nach Hause bestellten, damit ich ihnen Filme erzählte. Vor allem die Angestellten und Ladenbesitzer, die wohlhabendsten Bewohner der Siedlung. Und weil das Geld, das wir mit meinen Vorstellungen einnahmen, ausreichte, dass wir uns manchmal einen kleinen Luxus gönnen konnten, wir uns zum Beispiel Getränke zum Mittagessen und praktisch jeden Tag eine Kinokarte für mich leisteten (der größte Teil der Gewinne ging allerdings für die Weinflaschen meines Vaters drauf, die sichtbar mehr und von besserer Qualität wurden), kam eines Tages jemand auf die Idee, man könnte mir Visitenkarten drucken lassen.
    Mit Goldrand und in einer Schrift mit jeder Menge Schnörkeln stand da:
    Fee Delcine
    Filmerzählerin
    Damit nahm mein Unglück seinen Lauf.
    26
    Meinen ersten Auftrag bekam ich von Doña Mercedes Morales, der Schneiderin, die am Dorfplatz wohnte und eine gute Frau war, eine der besten, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Sie ließ mich kommen, damit ich ihr La violetera mit Sarita Montiel und Raf Vallone erzählte, der erst eine Woche zuvor im Kino gelaufen war. Sie hatte ihn nicht sehen können, weil sie unten am Hafen gewesen war, um Stoffe und Knöpfe einzukaufen.
    Ich erinnerte mich noch gut an den Film. Und das Lied, das dem Film den Titel gab, kannte ich auswendig, weil es ständig im Radio gespielt wurde. Außerdem war ich an dem Abend, als ich es zu Hause gesungen hatte, so lange beklatscht worden wie kaum je zuvor in meiner jungen Karriere.
    Ich machte mich an dem Tag also nach dem Mittagessen zum Haus der Schneiderin auf. Mirto war von unserem Vater dazu verdonnert worden, mir mit der Teekiste zu helfen, in die ich alle meine spanischen Requisiten gepackt hatte. Die Frau war sehr angetan und zeigte sich überaus großzügig. Sie schenkte mir nicht nur eine lila Bluse aus Seidentaft mit Rüschen, sie bezahlte auch mehr, als wir sonst in zwei Tagen zu Hause an Spenden einnahmen.
    Von da an wurde ich ständig zu jemand nach Hause bestellt.
    Fast immer sollte ich
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