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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Autoren: Giuseppe Furno
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der Bruderschaft überquert.
    Die Explosion hatte den oberen Teil des Campanile, der gerade gebaut wurde, abgerissen und das hölzerne Baugerüst in Flammen aufgehen lassen. Noch immer lösten sich Pfähle aus dem Gerüst und stürzten zu Boden, wo sie glosend und rauchend mehrmals aufprallten. Die ebenfalls eingerüstete Fassade der Kirche war nur verschont geblieben, weil sie aus massivem Marmor bestand und vom Körper des Gebäudes abgeschirmt wurde. Doch die Dachziegel und die gerade fertiggestellten Glasfenster waren verschwunden, ihre verstreuten Bruchstücke bedeckten den Kirchplatz wie ein Mosaik. Dennoch war dieser trostlose Ort, der Campo San Francesco, dessen Anlage Sansovino und Palladio so raffiniert entworfen hatten, die erste Insel der Ruhe für jene, die aus der Hölle kamen, und er wimmelte von Frauen, Männern und Kindern. Schon nach kurzer Zeit hatten die Verletzten die beiden Kreuzgänge des Klosters der Minoriten belegt, jetzt wurden sie auf dem Kirchplatz untergebracht. Viele auf improvisierte Liegen gebettet, andere unter Klagen und Seufzern auf die Pflastersteine. Ein Franziskaner mit dem Blick eines Besessenen, die Kutte zerrissen und versengt, als hätte er einen Zweikampf mit dem Teufel hinter sich, spendete einem mit dem Banner von San Marco bedeckten kleinen Körper die letzte Ölung.
    »Lasst uns durch!« Eine entschlossene Stimme hinter Andrea hieß ihn beiseitetreten und lenkte ihn von dem traurigen Anblick ab. Zwei Arsenalotti zogen eine Rolle mit einem Hanfseil, das sich langsam abwickelte: eine Ankertrosse.
    »Nehmt das hier!« Andrea hatte gerade noch Zeit, zwei schwielige Hände zu erkennen, schon reichte man ihm einen Saum aus dicker Baumwolle, der mit einem Seil verstärkt war. Er hob die Augen: Gemeinsam mit etwa zwanzig Arbeitern des Arsenale und Matrosen hielt er das Rahsegel einer Karacke in der Hand.
    »Breitet es ordentlich aus!«, rief der Arsenalotto, der Andrea in die Arbeit hineingezogen hatte. Die Männer lehnten sich nach hinten, und das Segel entfaltete sich zu seiner ganzen Größe. Obwohl Andrea kräftiger und größer war als der Durchschnitt und lange, muskulöse Arme hatte, sah er sich einen Augenblick lang nach vorn gerissen und musste dem Ungleichgewicht bei dieser Art Tauziehen mit seinen Rückenmuskeln und einem Gegendruck der Fersen begegnen. Wie in einem immer wieder geprobten Tanz wurde das Segel endlich genau mittig über dem Tau platziert.
    »Baut die Gabelstücke auf!«, befahl der Arsenalotto, der um die vierzig sein mochte und auch ohne Uniform, nur mit der schwarzen Mütze, die ihn auszeichnete, alle Merkmale eines Anführers hatte, vielleicht ein Vorarbeiter oder sogar ein Werkmeister war. Seine Hand war verbunden, und er hatte einen tiefen Schnitt auf der Stirn.
    Etwa zehn Männer, fünf auf jeder Seite, ergriffen zwei starke Pfähle mit einer Einkerbung an der Spitze. Sie legten das Tau in die Gabelstücke. »Hochziehen und festmachen!«, befahl der Anführer. In perfektem Zusammenspiel richteten die zehn Männer die beiden Pfähle auf, das Tau spannte sich und wurde fest wie ein Balken. So verwandelte sich das Segel, das bis vor kurzem noch den Wind beherbergt hatte, in ein riesiges Zeltdach, an dem die Asche abglitt.
    »Die Verletzten unter das Segel!«, befahl der Anführer in der knappen Art eines Mannes, der das Kommandieren gewohnt ist und weiß, dass man ihm umso weniger zuhört, je mehr Worte er verliert.
    Er muss ein Werkmeister sein, der weiß, welche Verantwortung es bedeutet, ein Schiff aus der Erde entstehen zu lassen, dachte Andrea. Und dieser Gedanke verband sich mit dem Bild von den Docks des Arsenale, wo der Werkmeister Kiel und Spanten des zukünftigen Schiffes mit gebogenen Linealen und roter Kreide direkt auf den Boden zeichnet. Wie das Gerippeeines Wals. Vorzeichnen der Wölbung hieß das, und es endete mit einem Fest und einem großen Trinkgelage. Denn von dieser vorgezeichneten Form hing das Glück des Schiffes und seiner Besatzung ab.
    »Befeuchtet das Segel!«, rief der Mann jetzt, weil er fürchtete, ein herabstürzender brennender Gegenstand könnte die Baumwolle entzünden. Und wie durch Zauber, als wäre alles schon längst vorbereitet gewesen, schütteten mehrere Werftarbeiter Eimer mit Wasser über dem Tuch aus, die sie einander weiterreichten, denn im Nu hatte sich für das Wasserschöpfen eine Menschenkette bis zum Rio San Francesco gebildet.
    Nach dem heftigen Protest der Arsenalotti gegen die Lohnkürzungen, im
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