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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Autoren: Giuseppe Furno
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März vor dem Palazzo Ducale, sah Andrea zum ersten Mal so viele von ihnen in Aktion. Mehrmals hatte er sie beobachtet, wenn sie bei den Sonntagssitzungen des Großen Rates Wache standen, dem Dogen auf seinem Staatsschiff, dem Bucintoro, Geleit gaben, einander Wettrennen mit Booten lieferten und sogar, wenn sie große Feuersbrünste löschen halfen. Doch es war etwas völlig anderes, die Katastrophe zu meistern, die in dieser Nacht ein ganzes Stück des Sestiere Castello ausgelöscht hatte. Die größte Verheerung, die Venedig seit seiner Gründung erlebt hatte. In dieser Nacht hätte ihnen kein Exerzieren, keine Übung und Erfahrung geholfen. Alles, was ringsum geschah, geschah zum ersten Mal.
    »Wir brauchen Freiwillige!« Der Aufruf des Anführers der Arsenalotti rüttelte Andrea aus seinen Gedanken. »In der Celestia müssen Menschenleben gerettet werden«, fuhr der Mann in entschlossenem Ton fort, und um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, war er auf eine Karre mit Backsteinen gestiegen. »Kirche, Kloster und sieben Häuser sind eingestürzt, unter den Trümmern liegen viele Menschen begraben. Wer kommt mit?« Etwa fünfzehn Hände wurden gehoben. Andrea war einer der Ersten. »Gut!«, sagte der Anführer und musterte sie. »Los, folgt mir!«
    Andrea ließ einen Teil der Gruppe vorbeiziehen und reihte sich etwa in der Mitte ein. Die Männer transportierten Eimer und Decken. Sie gingen an der Nordwand der Kirche entlang und gelangten zum rückwärtigen Teil, dem alten Obstgarten der Franziskaner: Er war verkohlt und qualmte. Sie gingen schnell, leicht gebückt, schauten sich fortwährend um. Die vom Widerschein des Feuers beleuchteten Gesichter waren angespannt, manch eines ängstlich. Bevor sie um die Ecke bogen, wo der Friedhof begann oder das, was von ihm übrig war, blieb der Werkmeister stehen.
    »Ab hier wird es sehr heiß werden«, sagte er. »Meine Arsenalotti wissen, wie man mit dem Feuer und den Trümmern umgeht.« Beim Sprechen musterte er die Gesichter. »Alle anderen tun genau das, was ich tue.« Er fixierte Andrea. »Die Celestia liegt wenige Schritte von den Pulverkammern entfernt. Zwei Magazine mit dreißigtausend Pfund Pulver sind explodiert. Fünf wurden in den vergangenen Tagen geleert. Dort lagen zweihundertvierzigtausend Pfund Schwarzpulver.« Der Mann machte eine Pause, ohne die überflüssige Erklärung hinzuzufügen, was hätte geschehen können, wenn eine solche Menge Sprengstoff von den Flammen erfasst worden wäre. »Es bleiben hunderttausend Pfund in den drei zum Meer gelegenen Waffenlagern. Dort sind unsere Männer dabei, das Pulver zu befeuchten und das Feuer einzudämmen. Auch die Ölvorräte brennen, doch das Öl wird früher oder später versiegen. So ist die Situation. Wer umkehren möchte, tue das jetzt.«
    Der Anführer ließ seinen Blick über die Männer schweifen. Mehr würde er nicht sagen, das war klar. Keiner erwiderte etwas. Keiner ging fort. Einige bekreuzigten sich. Er wartete einen Augenblick, dann nickte er leicht, und Andrea sah sein Gesicht eine Sekunde lang vor Stolz aufleuchten.

7
    Wehmütig dachte der Alte an die Kraft zurück, die er in seiner Jugend gehabt hatte, als er zum Fisch wurde und zwanzig Faden tief tauchte, um verhakte Anker zu lösen. Als er wegen einer Wette mit Freunden vom Hauptmast der Galeere ins Meer sprang und zweimal unter dem Kiel hindurchschwamm, vom Heck bis zum Bug natürlich. Wenn er noch zwanzig gewesen wäre, hätte er versucht, unter den Flammen hindurchzutauchen, die sich über ihm zusammengeschlossen hatten. Doch jetzt war er über siebzig, seine Lungenkraft und Wendigkeit hatten nachgelassen, er hätte riskiert, mitten im Höllenfeuer aufzutauchen. Nur die Hoffnung, dass das Öl zur Neige ging, ließ ihn durchhalten. Die Schlinge aus knisterndem Feuer zog sich zusammen, die Meeresoberfläche hatte angefangen zu dampfen, die obere Handbreit Wasser kochte. Der Alte wirbelte mit den Armen, damit das kalte Wasser aufstieg, das ihn vom Nabel abwärts umgab. Eine große silberne Meeräsche schoss aus dem Wasser und schlug klatschend, mit dem Bauch voran, etwas entfernt wieder auf. Mehrmals wiederholte sie den Sprung, bis sie am Rand des Feuers angelangt war. Dann tauchte sie ab. Der Alte wollte sich vorstellen, dass die Meeräsche mit der Schicht warmen Wassers spielte, und hoffte, sie würde zurückkommen, damit er wenigstens die Gesellschaft eines zu Späßen aufgelegten Fisches hatte. Er drehte sich und blickte umher, doch die
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