Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Autoren: Giuseppe Furno
Vom Netzwerk:
Oberfläche war glatt und glänzte wie ein Silbertablett. Hier und dort dümpelten dunkle Umrisse im Gegenlicht der Flammen: Holzstücke, Seile, Lumpen, eine Flasche, die der Explosion entkommen war.
    In diesem Augenblick entdeckte er sein Boot. Es war umgekippt, der flache Kiel zur Seite geneigt. Es sah aus wie der Rücken eines toten, treibenden Wals und war der Feuerfront so nah gekommen, dass der Vordersteven, wo Flämmchen aufflackerten, schon rauchte, anscheinend unschlüssig, ob er brennen oder widerstehen sollte. Dennoch erkannte der Alte dank desInstinkts und der Erfahrung eines Menschen, der sein Leben außerhalb von Hausmauern verbracht hat, in diesem gespenstischen Anblick den süßen Vorboten der Rettung.

8
    Der erste Eindruck, nachdem sie an der Kirche um die Ecke gegangen waren, eine Welle aus glühendheißer Luft, traf Andrea mitten ins Gesicht und lähmte ihn wie eine Böe Schirokko, doch fünfmal heißer als der Augustschirokko. Unwillkürlich schloss er die Augen, ergriff einen Zipfel seines Ledermantels und legte ihn sich über das Gesicht. Die Glutwelle stieg auf und fuhr ihm wie ein Kamm durch die Haare.
    Was Andrea vor sich hatte, übertraf alle Vorstellungskraft, alle Voraussicht, die beim Betrachten des Feuers aus der Ferne entstanden war. Direkt vor ihnen ragte von Norden nach Süden über eine Länge von einer Viertelmeile eine Feuerwand auf. Noch vor einer Stunde hatte hier die westliche Umfriedung des Arsenale gestanden, eine drei Ellen starke Mauer aus Stein. Das Prasseln war ohrenbetäubend, es verlieh den flüchtig zuckenden Flammen Körperlichkeit. Ihr Farbspektrum variierte von Blau bis Violett, von Gelb bis Blassrosa, je nach dem Material, das verbrannte.
    Von Zeit zu Zeit veränderten sich unter Knallen und Knattern die Farben und Bewegungen der Feuersäulen, sie wurden zusammengedrückt und gekräuselt. Am oberen Saum des Feuerwalls lösten sich Flammenzungen und Funken aus der lodernden Masse, um in einer Höhe von mindestens weiteren hundert Ellen Pirouetten und Sprünge zu vollführen und sogar den Campanile von San Francesco oder das, was von ihm blieb, zu überragen. Bevor sie aber auch noch die Sterne in Brand setzen konnten, nahmen die Lohen eine weißliche Färbung an und verwandelten sich in Asche und Rauch.
    Und während dieses majestätische, entsetzliche Schauspiel die Bühne beherrschte wie eine allzu ausgefeilte und überbeleuchtete Theaterkulisse, brachte das, was sich im Vordergrund, zwischen Andreas Beobachtungspunkt und der Feuerwand darbot, Geist und Körper zum Erschauern. Denn dort gab es kein Stadtviertel aus Häusern mehr, kein Kloster mit Kirche und Campanile, keinen Rio, keine Gassen und Brücken, sondern nur noch ein verwüstetes Gelände, wo Hügel aus den Materialien der einstigen Gebäude aufragten: Marmorstücke, Backsteine, istrischer Kalkstein, Dachbalken, Pfeiler, Mörtel und Sand, Türen und Fensterrahmen, Stoffe und Glasscheiben. Durch diese Wüstenei irrten im Gegenlicht menschliche Silhouetten. Ihr Schreien und Rufen, ihr Weinen und ihre Gebete schufen, vermischt mit dem Prasseln der Flammen, eine eigene Welt, die man für die Unterwelt hätte halten können.
    Kaum etwas war stehengeblieben. Nur die Apsis der Kirche der Celestia mit dem ganzen Hochaltar, um den sich kniend die Nonnen versammelt hatten, bot wie eine heilige Höhle Schutz vor den Flammen. Andrea war gewiss kein frommer Christ, doch bei diesem Anblick musste er unwillkürlich an ein Wunder denken, denn dort auf dem Hochaltar stand die Statue der Madonna mit dem Kind, die viele verehrten. Dann sah er den Stumpf des Campanile an die Rückwand der Kirche gelehnt, und eine rationale Erklärung gewann die Oberhand über das vermeintliche Wunder: Der Campanile hatte die Apsis vor der Explosion bewahrt, indem er zerberstend die Druckwelle abhielt.
    Andrea war, als brenne er vor Erregung, aber er verwechselte wieder einmal eine Sinnesempfindung mit einem Gefühl. Denn Andrea brannte wirklich: Der Ledermantel, mit dem er sich schützen wollte, war glühendheiß und roch versengt, ebenso jene Stellen seiner Hose, die der Hitze des Feuers am nächsten gekommen waren, während seine Stiefel die Spuren kochenden Öls trugen. Er fühlte seinen Kopf erglühen und fuhr mit der Hand darüber. Sogar seine Haare hatten sich gekräuselt wieWildschweinborsten. Das war ihm schon einmal als Kind passiert, in der Glasbrennerei Barovier in Murano vor dem Ofen, über dem Feinschmecker wie sein Vater gerne
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher