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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Autoren: Giuseppe Furno
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des Holzes mit dem erhitzten Pech der Kalfaterung.
    Er musste umdrehen, denn das Boot konnte im nächsten Moment von den Flammen erfasst werden. Wieder verließ er sich auf seine Erfahrung: Das einzige Licht in diesem Dunkel waren die Reflexe des Feuers, die das Wasser von unten widerspiegelte. Also drehte er dem Vordersteven und dem Feuer den Rücken zu und begann, gestützt auf die Sitzbank, mit den Beinen zu schwimmen wie ein Frosch. So schob er seinen Panzer hinaus auf das rettende dunkle Wasser.

11
    Im Halbdunkel der Apsis war die Luft lau, und es war ruhig, sogar das Prasseln der Flammen drang nicht bis hier hinein. Ein Dutzend Nonnen und drei Novizinnen knieten im Halbkreis zu Füßen des Altars unter dem Bild der Muttergottes mit Kind und setzten ihren Gesang fort. Die weißen Kutten ließen sie alle gleich alt erscheinen, nur ein paar Falten um die Augen und Lippen gestatteten es, manch betagtere von den jüngeren zu unterscheiden. Alle hatten weiße Haut, weiß wie ihr Gewand und von wächserner Konsistenz.
    Bepo Rosso lauschte reglos dem Requiem und schien seine Selbstsicherheit als Kommandant verloren zu haben, denn er zögerte, das Lied zu unterbrechen, als böte die Heiligkeit des Gesangs Schutz und Rettung, nicht der starke Bau der Apsis. Das Winseln eines Hundes lenkte ihn ab. Und dieses klagende Winseln ließ auch den Gesang verklingen. Das Tier erschien zwischen Marmorblöcken und Backsteinen, die den Campanile gestützt hatten. Es war ein kurzhaariger Mischling. Er kam mit scharrenden Vorderpfoten näher, den Rest seines Körpers oder was davon geblieben war, hinter sich her schleifend. Denn das war kein Körper mehr, sondern ein zerfetztes Etwas aus Hinterbeinen, dem Schwanz und dem Bauch, das den Boden der Kirche mit einem dunklen Streifen Blut bemalte. Von Zeit zu Zeitdrehte er den Kopf und wühlte mit den Zähnen in seinem Fell. Wie ein sterbender Fußsoldat, der den anderen und sich selbst beweisen will, dass er noch lebt, schleppte sich der Hund zwischen den Freiwilligen und dem Chor der Nonnen hindurch. Bei Andrea angekommen, kauerte er sich an dessen Seite, wie er es bei seinem Herrchen getan hätte. Er fing an zu zittern und nach Luft zu schnappen. Da ergriff Bepo Rosso einen Stein und näherte sich dem Hund, um ihm den Gnadenstoß zu geben.
    »Nein!« Der Schrei einer Novizin ließ den Werkmeister innehalten, bevor der Stein fiel. Die Novizin kniete nieder, bettete den Kopf des Hundes auf ihre Knie und streichelte ihn. Andrea trat einen Schritt zurück, als verdiente diese Geste des Mitleids ihren eigenen sakralen Raum. Dann blickte er zum Werkmeister auf, der in einer Geste unterbrochen worden war, die, obgleich entgegengesetzt, von ebenso viel Mitleid zeugte. Bepo Rosso schien etwas sagen zu wollen, vielleicht eine Entschuldigung. Doch er warf nur den Stein weg. »Wer ist die Äbtissin?«, fragte er die Nonnen, zu seinem Kommandoton zurückfindend.
    Diese sahen ihn überrascht an, dann wechselten sie bestürzte Blicke, als gäbe es auf diese Frage keine eindeutige Antwort oder als käme sie ungelegen. Eine sehr alte Nonne erhob sich mühsam, unterstützt von der Novizin neben ihr. »Ich bringe Euch zu ihr«, sagte sie mit heiterer Gelassenheit, als empfinge sie einen unerwarteten Gast am Tor des Klosters. Ihre Worte begleitete sie mit einem Fingerzeig auf eine dunkle Nische, die sich über den Bodenfliesen aus rosa Marmor öffnete. Es war der Eingang zur Krypta. In der kurzen Zeit, die Bepo Rosso benötigte, um dort anzukommen, erteilte er Befehle nach allen Seiten.
    »Moretto, Davide, Campolongo und Rocco!«, sagte er, viermal auf die Reihe der Arsenalotti zeigend. »Ihr geht in die Häuser und seht nach, ob dort Lebende geborgen werden können. Ihr drei«, er zeigte auf ein Terzett aus Matrosen, die sich zusammengeschlossen hatten, »bringt die ehrwürdigen Schwestern zum Campo San Francesco. Sofort.«
    Während die Angesprochenen sich eilig in Bewegung setzten, erfasste der Werkmeister alle anderen, einschließlich Andrea, mit einem Blick und schrie: »Wenn hier in der Umgebung Verletzte sind, die gehen können, begleitet ihr sie zur San Francesco. Sucht Türen und Torflügel und macht daraus Tragen für die, die nicht gehen können. Die Toten überlasst ihr der Gnade Gottes.« Bepo Rosso berührte das Schwert, das er am Gürtel trug. »Wen ich beim Stehlen erwische, den spieße ich auf!« Stille entstand, gefolgt von einem dumpfen, unverständlichen Gemurmel. Dann liefen alle
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