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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Autoren: Giuseppe Furno
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solcher geblieben wäre, wenn er im vergangenen Jahr nicht in einen Skandal wegen seiner Einstellung bei der Münze verwickelt worden wäre. Die abgewiesenen Konkurrenten hatten ihn beschuldigt, den Platz nicht wegen seiner Verdienste bekommen zu haben, sondern weil Milledonne Druck auf die Mitglieder des Zehnerrates ausgeübt hatte.
    Andrea selbst hatte im Namen einer großen Gruppe junger Patrizier die scharfe Kritik von Teilen des Großen Rates an diesem Fall von Nepotismus zum Ausdruck gebracht. Es hatte nichts genützt: Der Skandal war einige Wochen lang in aller Munde gewesen und dann in Vergessenheit geraten. Er erinnerte sich, dass die Misshelligkeiten mit seinem Vater, dem nichts wichtiger war als der liebe Friede, auch anlässlich der Geschichte mit Cenigoentstanden waren und einige Monate später zu dem Streit geführt hatten, der ihn bewogen hatte, den Palazzo zu verlassen.
    Als er jetzt die Verzweiflung dieses armen Mannes und seinen zerfallenden Körper sah, vergaß Andrea allen Groll. Aufgrund jenes seltsamen Phänomens, durch das Feinde manchmal zu besten Freunden werden, hätte Andrea sogar alles getan, um Cenigo und seine Familie zu retten, und sollte es ihn das eigene Leben kosten. Mit zwei entschlossenen Sprüngen war er an seiner Seite, um den Mann aufzumuntern und ihm beim Graben zu helfen. Doch die Stimme des Werkmeisters hielt ihn zurück:
    »Dieser Mann hat schon Hilfe, Ser Loredan, kommt mit!«, sagte Bepo Rosso. »Dort hinten sind Menschen, die uns wirklich nötig brauchen!« Andrea beeilte sich, dem Werkmeister zu folgen, der mit den anderen Freiwilligen auf das zuging, was von der Kirche der Celestia übrig war. Dort, weniger als vierzig Schritte entfernt, stimmten die Nonnen das Requiem an.

10
    Der Alte wusste um das launische Wesen des Feuers. Dem Wasser vertraute er. Auch dem stürmischen. Dem Feuer nicht. Das Feuer war ein Löwe, der erst mit den Klauen zuschlug und sein Opfer dann zerriss. Die Klauen spürte der Alte schon fünf oder sechs Ellen vor dem Boot, obwohl er unter Wasser schwamm. Er hatte gerade noch Zeit, sich die Lungen mit einem Schwall glühender Luft zu füllen und wieder unterzutauchen. Der Umriss des Bootes war eine dunkle Wolke im goldenen Licht des Feuers. Unerreichbar. Der Alte musste Luft holen, aber er wusste, dass er sterben würde, wenn er jetzt auftauchte. Es drängte ihn, umzukehren, doch ihm war klar, dass er es nach der Anstrengung der Kehrtwende nie und nimmer wieder zu seinem Ausgangspunkt schaffen konnte. Er biss die Zähne zusammen und machte zwei Schwimmstöße. Der Schatten des Bootes schienganz nah, über ihm, aber es war noch weit, unerreichbar. Noch ein Stoß, er zerriss das Wasser wie einen seidenen Schal. Seine Brust bebte. Er stieß alle Luft aus, damit Bewegung in die Lungen kam und er weniger litt. Im nächsten Moment, das spürte er, würde er gegen seinen Willen den ursprünglichen Impulsen des Lebens gehorchen, sein Mund würde sich öffnen, um zu atmen. Dann würde er ertrinken.
    Er schloss die Augen, neigte den Kopf und ließ sich nach oben treiben. In dem Moment, in dem seine Lippen sich öffneten und der erste Schwall Wasser ihm in die Kehle drang, hatte er das deutliche Gefühl, dass ihm eine warme Wollmütze aufgesetzt wurde. Er spürte seine Finger an die innere Bootshaut schlagen, ohne Halt zu finden, aber seine Augen sahen wieder. Er war im Bauch des umgekippten Bootes, lebendig, wenn auch kurz vor dem Ertrinken.
    Er hustete den Pfropfen Wasser aus der Luftröhre, der auf seine Lungen drückte und sie verschloss. Zappelnd, denn das Meer sog ihn ein wie eine halbleere Flasche ohne Korken. Wieder berührten seine Finger festes Material. Jetzt griffen sie zu. Er zog sich hoch und konnte einen Arm über die Sitzbank des Bootes schieben.
    Ein halber, schmerzhafter Atemzug. Ein Auswurf aus Wasser und Schleim. Wieder ein Atemzug, noch mit halber Kraft. Doch fast schon befreiend zwischen erneutem, röchelndem Husten, das all den flüssigen Dreck auswarf. Noch ein Atemzug. Dieser war vollständig. Und mit der Luft kam die Kraft zurück. Der Alte zog sich mit dem anderen Arm hoch, bis er die Sitzbank unter beiden Achseln hatte. Er hätte geweint, wenn er Zeit gehabt hätte.
    Beschützt durch den Bauch des umgekippten Bootes fühlte er sich wie eine Schildkröte in ihrem Panzer nach dem Angriff des Löwen. Erschrocken, aber in Sicherheit. Die Luft, die er atmete, war warm, aber es war Luft. Sie war erfüllt von Rauch und dem starken Geruch
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