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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre
Autoren: Koonchung Chan
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Antwort?«
    Fang Caodi stellte intuitiv die Frage: »Geht es um die Chemiefabrik im Taihang-Gebirge in Hebei? Die ihren eigenen Flugplatz hat?«
    He Dongsheng war überrascht: »Ihr seid wirklich nicht schlecht informiert! Sieht so aus, als würde unsere Geheimhaltung nicht völlig lückenlos funktionieren.«
    »Was genau wird dort produziert?«, fragte Fang Caodi weiter. »Sie haben versprochen, uns jede Frage zu beantworten!«
    »Warum auch nicht? Ich finde nichts Schlimmes an dem, was wir dort tun. Ihr habt wahrscheinlich noch nie etwas von MDMA gehört, aber Ecstasy, in dem MDMA enthalten ist, ist euch sicher ein Begriff. Wir produzieren dort MDMA der n-ten Generation: sanft, nicht süchtig machend, frei von Nebenwirkungen. Nach der Einnahme fühlt man sich blendend, die ganze Welt scheint von Liebe erfüllt, man möchte andere Menschen umarmen und ihnen die intimsten Dinge anvertrauen. Aber man bleibt gleichzeitig klar im Kopf und halluziniert nicht. Genau der Zustand, in dem ich gerade bin.«
    »Eine so riesige Fabrik, nur um Ecstasy-Pillen herzustellen?« Fang Caodi sah ihn verständnislos an.
    »Wir produzieren kein Ecstasy und schon gar keine Pillen. Es geht auch nicht um den Verkauf ins Ausland. China ist eine Supermacht, wir sind nicht Nordkorea, so etwas wäre völlig abwegig. Wir stellen diese Substanz nur für den Eigenbedarf her.«
    »Wie in Huxleys Schöne neue Welt?«, fragte Chen dazwischen.
    »Ich weiß, was du meinst. Aber es geht hier nicht um Science-Fiction. Wir haben ein Büro zur Wahrung der Stabilität, dort erforschen Experten alle möglichen Methoden der Stabilitätssicherung weltweit, von der Antike bis heute. Einer von ihnen hat sich mit Daten aus England beschäftigt und etwas Interessantes herausgefunden: Wusstest du, dass es im Ausland ganz normal ist, dass Jugendliche zu Silvester auf der Straße feiern und trinken und irgendwann anfangen, besoffen zu randalieren? Wenn du mal ein englisches Fußballspiel gesehen hast, dann weißt du, wie hoch das Gewaltpotenzial dort ist. Aber gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts gab es für mehrere Jahre plötzlich einen drastischen Rückgang der Krawalle zu Neujahr. Es war genau die Zeit, in der Ecstasy in Mode kam. Tatsächlich wollten die Jugendlichen auf dieser Droge nur noch tanzen, Musik hören, sich umarmen, lieben und mit anderen über ihr Seelenleben reden. Das MDMA in den Ecstasy-Pillen ruft diesen Effekt hervor, ganz anders als Alkohol oder halluzinogene Drogen. Alkohol enthemmt, weckt das Bestialische in den Menschen und lässt sie leicht aggressiv werden; Halluzinogene lösen Sinnestäuschungen aus und beeinträchtigen die Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation. Das Stabilitätsbüro hat mit Hilfe des Ha’erbin Institute of Technology MDMA-Muster extrahiert. Anfangs gab es noch keine konkrete Verwendung dafür, man hat einfach ein wenig herumexperimentiert, wie die Q-Abteilung in den James-Bond-Filmen, und einen Haufen mehr oder weniger nützlicher Anwendungen entwickelt.
    Bis das Politbüro schließlich den Feuer-Eis-und-Gold-Plan entworfen hat. Einige ständige Mitglieder äußerten die Befürchtung, dass der Effekt der Anti-Kriminalitätskampagne die Menschen resigniert und antriebslos werden lassen könnte, sodass sie sich beim zweiten Glied des Plans, den fünf großen Wirtschaftsreformen, nicht aktiv genug beteiligen würden. Man wünschte sich etwas, was die Menschen vergnügt und positiv stimmen konnte, ohne Aggressionen hervorzurufen und so der gesellschaftlichen Harmonie zu schaden. Ein Mann vom Staatsschutz, der an der Harvard Kennedy School of Government studiert und über Drogen geforscht hatte, meinte im Scherz, dass man für einen solchen Effekt die ganze Nation mit Methy-lendioxymethamphetamin vollpumpen müsste – abgekürzt MDMA.
    So fing es an. Je länger man sich darüber unterhielt, desto machbarer schien es. Einer der Männer vom Politbüro sagte nach der Diskussion begeistert, er hätte nie gedacht, dass es auf dieser Welt ein so grandioses Mittelchen geben könnte. Was die Sache noch vereinfachte: In China wachsen weltweit die meisten Sassafrasbäume, aus deren Öl der Ausgangsstoff für die Herstellung von MDMA gewonnen wird. Ein interessanter Zufall. Zudem haben chinesische und westliche Untersuchungen ergeben, dass MDMA – in geringer Dosierung verabreicht – nicht gesundheitsgefährdend sein dürfte. Auch bei Langzeitstudien wurden keine unerwünschten Nebenwirkungen beobachtet. Es schien also
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