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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung
Autoren: Meša Selimović
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alles.
    Ihr Spiel
dauerte nur kurz, insgesamt zehn Würfe. Mir kam es so lang
vor wie eine Krankheit.
    »Das
Schicksal ist gegen dich«, sagte Šehaga ernst.
    »Ich sehe es,
Aga.«
    Osman stand
auf und warf den Würfel aus dem Fenster in den
Kanal.
    »Nie
wieder!« sagte er niedergeschlagen.
    »Schwöre
es! Nicht bei deiner Seele, nicht bei deinem Ehrenwort,
sondern bei deinem Glück.«
    Er schwor,
als strafte er sich selbst, und verließ das Zimmer.
    Er tat mir
leid.
    »Warum hast
du das getan?« fragte ich Šehaga.
    »Es war ein
Orakel: Wenn er gewinnt, gewinne auch ich. Nun haben
wir wohl beide verloren.«
    »Wieso? Das
verstehe ich nicht.«
    Er winkte
ab, wollte nicht antworten.
    Ich sah,
daß seine Munterkeit verschwunden war, er bewegte
kraftlos die Hände auf der Bettdecke, verzerrte die Lippen,
sein Gesicht war schweißnaß und bleich.
    Ich
erschrak. War das der Tod?
    »Šehaga,
was hast du? Šehaga!«
    Er sank zur
Seite. Damit er nicht aus dem Bett fiel, legte ich ihm den
Kopf aufs Kissen zurück.
    Ein paar
Augenblicke verhielt er sich ruhig, dann öffnete er langsam
die Lider und entblößte erloschene, fast tote Pupillen.
Es gelang ihm zu lächeln, er sagte sogar, ich solle keine Angst
haben. Er war stärker und tapferer, als ich gedacht
hatte. Einen Doktor durfte ich nicht holen.
    »Dies ist
unsere Sache, die keinen Fremden angeht«, flüsterte
er.
    Ich begriff
nicht, wovon er sprach.
    Und als Leben in seine Augen zurückkehrte, sah er mich lange und
forschend an, als suchte er etwas hinter meiner Stirn.
Warum fragte er nicht? Ich hätte ihm alles gesagt. Wahrscheinlich.
    »Fürchte
dich nicht«, sagte er leise, doch fast drohend. »Ich werde
nicht sterben. Noch habe ich nicht alles Nötige getan. Ich
muß das Böse zurückzahlen, das man mir angetan hat. Es ist unredlich, jemandem
etwas schuldig zu bleiben.«
    »Warum denkst du an Rache? Macht sie
denn glücklich?«
    »Auch das
Leben macht nicht glücklich, aber ich lebe.«
    »Rache ist wie Trunksucht, man
bekommt nie genug. Warum denkst du gerade jetzt daran?«
    Er rief zornig aus: »Woran soll ich
denn sonst denken?«
    Aber dann griff er auf einmal
krampfhaft nach der Bettdecke, zog sie an sein gerecktes Kinn und stieß einen
Schmerzensschrei aus, als ob seine Eingeweide verbrannten. Seltsamerweise
beruhigte er sich bald und schob das Handtuch weg, mit dem ich ihm den Schweiß
von der Stirn tupfte.
    »Laß das«,
sagte er leise. »Wo ist Osman?«
    »Ich weiß es nicht, er ist
fortgegangen. Kann ich dir helfen?«
    »Wo ist
Osman?«
    »Ich weiß nicht, wo Osman ist. Was
möchtest du? Sag es mir.«
    »Das ist
nichts für dich.«
    »Was?«
    »Ich habe das alles erwartet, aber
bei anderer Gelegenheit, an einem anderen Ort. Nicht hier und nicht so.«
    »Wovon
sprichst du nur, Šehaga?«
    Sein Aussehen, seine
unverständlichen Worte, die Musik und die fröhlichen Stimmen von der Straße,
das traurige Zimmer, das rätselhafte Geheimnis – all das versetzte mich in
Angst und Schrecken.
    Die Anfälle kamen in immer kürzeren
Abständen, sein Gesicht verzerrte sich, der Körper wurde schwächer.
    Er quälte sich, er schien erbrechen
zu müssen, er atmete tief mit weitgeöffnetem Mund, er rang nach Luft, aber er
wandte nicht den Blick von mir. Bald würde die Krankheit den Glanz seiner
grauen Augen löschen, vor denen die Menschen Angst gehabt hatten.
    »Weißt du, was mit mir ist?« fragte
er flüsternd, als der Krampf nachließ. »Ich bin wohl vergiftet worden.«
    »Wieso denn vergiftet, um Gottes
willen? Was redest du?«
    »Es zerfrißt mir die Eingeweide. Und
die Kehle. Und das Gehirn.«
    »Wer?«
schrie ich. »Wer hat dich vergiften können?«
    »Wer konnte es nicht? Vielleicht du.
Oder Osman. Aber nein. Du bist zu schwach dazu. Osman war nicht bei uns, und
die Schmerzen haben schon unterwegs begonnen. Vielleicht waren es die
Knechte.«
    »Warum hast du mir nichts gesagt? Du
hast alles verschwiegen. Warum auch das?«
    »Vielleicht war es ein Fremder, den
man bestochen hat, auf der Reise, in den Herbergen, in den Schenken. Aber der
wahre Schuldige sitzt in Sarajevo.«
    »Sie sollen verflucht sein.«
    »Osman soll kommen. Und laß mich
allein mit ihm.«
    »Ich weiß, warum du ihn rufst. Tu es nicht, bitte! Denk nicht
an Rache. Du wirst wieder gesund.«
    »Rufe mir Osman!«
    Ich konnte mich nicht rühren, ich
konnte mich nicht sammeln, ich wußte nicht, was ich tun sollte. Vielleicht
starb vor meinen Augen ein Mensch an Vergiftung, aber ich dachte weniger
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