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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung
Autoren: Meša Selimović
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frage ich.«
    »Alles Wichtige habe ich erzählt.
Das andere ist nebensächlich.«
    »Was denn?«
    »Na ja, ich habe Getreide auf Kredit
gegeben. Osman ist wütend.«
    »Warum hast
du das gemacht?«
    »Warum schon!
Der Winter ist hart, die Leute haben kein Geld, darum. Wenn sie wieder Geld
haben, werden sie bezahlen.«
    »Hast du
die Namen der Schuldner aufgeschrieben?«
    »Ja. Fast alle.«
    Nein, er hatte keinen einzigen
aufgeschrieben. Wie konnte ein großzügiger reicher Mann, der er in dieser Zeit
wirklich gewesen war, seine Schuldner aufschreiben?
    Ich wußte nicht, was ihn zu so
unerwarteten Schritten trieb. War es das Bedürfnis nach Dankbarkeit und
Achtung? War es der Wunsch, etwas
Ungewöhnliches zu tun, das andere nicht taten?
    »Und was jetzt?«
    »Ich verkaufe mein Haus.«
    »Wie oft wolltest du das schon!«
    »Jetzt werde ich es tun.«
    Für ihn gab es nur den Augenblick,
er erinnerte sich nicht an Vergangenes, dachte nicht an den nächsten Tag. Was
er auch tun mochte, Gutes oder Böses, er würde sich damit zugrunde richten. Er
hatte Osman gesagt, daß er das Haus verkaufen und den Verlust ersetzen wolle,
und dabei gehofft, daß Osman ablehnen würde. Aber Osman war nicht Ahmet Šabo,
der mehr Herz als Verstand hatte. Osman kannte kein Erbarmen. Er stimmte zu,
bestand sogar auf sofortigem Verkauf. Mahmuts Frau erklärte sich einverstanden,
sie schalt ihren Mann nur gutmütig: Alter schützt vor Dummheit nicht. Was
sollte sie machen!
    »Es ist einfach, auf Kosten anderer
großzügig zu sein«, sagte Osman. Ungerührt strich er das Geld ein, aber seine
Gedanken waren mit anderen Sorgen beschäftigt.
    Er erzählte mir von Šehagas
Begräbnis. Er war gesund und munter mit uns abgereist und in einem
eisenbeschlagenen Eichensarg zurückgebracht worden.
    Viel Volk war in das große Haus
gekommen, um Šehaga zu sehen, aber zu Gesicht bekommen hatten ihn nur der Kadi
mit seinen Schreibern und Zeugen, er hatte mit seinem letzten Besuch dem toten
Šehaga Ehre erwiesen und sich selbst ein großes Vergnügen bereitet, denn der
tote Feind war ihm gewiß lieber als der lebende Freund. Er hatte eine ernste
Miene gezeigt, während sein Herz jubilierte wie eine Lerche.
    In Begleitung des Kadis war auch
Zafranija gekommen. Natürlich hatte er den Zeugen geglaubt und nicht
bezweifelt, daß es wirklich Šehaga war und daß er tot war, doch er war für alle
Fälle ganz dicht an Šehagas fahles Gesicht herangetreten, um sich selbst zu
überzeugen, um den Geruch der Leiche wie den einer Blume zu spüren.
    Alle hatten Osman ihrer Anteilnahme
versichert und ihn gebeten, sie auch der Witwe zu übermitteln, die durch diesen
Schicksalsschlag krank geworden war. Osman hatte gedankt, besonders herzlich
dem Kadi und Zafranija. Er hatte sogar gesagt, daß sich Šehaga auf
dem Sterbebett all seiner Freunde erinnert und ihre Vergebung für mögliche
Schuld erfleht habe, so wie auch er ihnen allen vergebe.
    Weh denen, die er erwähnt hat!
dachte ich. Ich kannte Osmans Wolfsnatur.
    »Haben der Kadi und Zafranija
Šehagas Tod verschuldet?« fragte ich Osman.
    »Wie sollten sie? Šehaga ist vor
Trauer um seinen Sohn gestorben.«
    »Er hat selbst gesagt, daß er
vergiftet wurde. Er hat dich rufen lassen, damit du das Vermächtnis der Rache
erfüllst.«
    »Was redest du von Rache? Er wollte
geschäftliche Dinge mit mir besprechen.«
    Er sagte es
kalt, mit eisigem Lächeln.
    Er war immer auf der Hut, immer zur
Verteidigung bereit: eine verschlossene Festung.
    Ich sagte
es ihm, und er lachte.
    »Wie jeder von uns. Gott sei Dank,
daß es so ist. Was sollte aus uns werden, wenn wir wacklige Zäune wären? Wir
sind von Feinden umgeben.«
    Hatte er von Šehaga das Vermächtnis
der Rache übernommen?
    Wenn es so war, würde dieser
Scheinfrieden bald ein Ende haben.
    Wer von ihnen würde schneller sein?
Wer würde als erster Bećir Toska eines weiteren Verbrechens beschuldigen?
    Trotzdem wollte ich Tijana fragen,
ob es wahr sei, was ich zu sehen geglaubt hatte. Es war unmöglich, aber ich
wollte fragen. Ich war verrückt, darüber nachzudenken, doch ich würde fragen.
    Ich verschob es, bis sich meine
Angst besänftigt haben würde.
    Mein einziger Wunsch war, dieses
Haus so bald wie möglich zu verlassen.
    In meiner teuren Heimat wehen wieder die
Kriegsfahnen, und Kriegssteuern werden erhoben. Die Menschen verfluchen alle
Kriege auf der Welt, aber sie zahlen die Abgaben und ziehen in den Kampf.
    Nur die Bauern aus Župča haben
rebelliert. Sie haben
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