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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung
Autoren: Meša Selimović
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an die Heimat und die
Familie mit, das stumme Schauen und Wundern, das wir im fremden Land suchten
außer dem eigenen Unglück und dem anderer. Wenn ich zu ihnen zurückkehrte, war
es, als käme ich nach Hause. Es waren alltägliche, gute Menschen. Der eine war
aus eigenem Antrieb in den Krieg gezogen, der andere hatte es getan, weil er
mußte.
    Ahmetaga Misira, der Schneider, ich
habe ihn nur betrunken im Gedächtnis, hatte lange Zeit Aga werden wollen, und
als ihm das gelungen war, holte man ihn sogleich in den Krieg, was ihm sicher
nicht recht war. Der zornige alte Hido, der Ausrufer, war vor der Armut
geflohen. Der kräftige Mehmed Pecitava, immer mit entblößter Brust, verfluchte
in häßlichsten Worten den Krieg, denjenigen, der ihn erfunden, und sich selbst,
weil er sich gemeldet hatte, aber er wollte nie sagen, weshalb er sich gemeldet
hatte. Ibrahim Paro, der Buchbinder, mit einer Hasenscharte, was Glück bedeuten
soll, hatte drei Frauen in Sarajevo und scherzte, er sei vor ihnen
davongelaufen. Die beiden Söhne des Barbiers Salih vom Alifakovac hatten sich
vor dem Bartschneiderhandwerk drücken wollen, obwohl der Ältere das
Rasiermesser aus der väterlichen Werkstatt mitgenommen hatte; freilich rasierte
er nur sich selbst, einen anderen um keinen Preis. Hadschi Husein, genannt
Pišmiš, war tief verschuldet und deshalb zur Armee gelaufen. Smail-aga Sovo,
der Kesselschmied, war mit anderen davongezogen, im Rausch und voller
Begeisterung, aber die Begeisterung war so schnell verflogen wie der Rausch.
Avdija Suprda, Wucherer im Frieden, Fähnrich im Krieg, war gut und redlich in
beiden Gewerben, wobei man nicht weiß, welches schlimmer ist.
    Sie alle sind gefallen. Ahmet Misira
war nur kurze Zeit Aga, und er hat es teuer bezahlt. Ibrahim Paro ist seine
drei Frauen für immer losgeworden, drei Russen haben ihn erschlagen, für jede
Frau einer, Husein Pišmiš hat alle irdischen Schulden beglichen, kopfüber im
Morast. Der ältere der beiden Brüder brachte sich mit dem Rasiermesser um,
eines frühen Morgens in dem ukrainischen Dorf, in dem wir biwakierten.
    Außer mir sind nur Smail-aga Sovo
und der Fähnrich Avdija Suprda zurückgekehrt. Smail-aga entfloh noch vor
Kriegsende, er verschwand eines Nachts, und einige Monate später, der Krieg war
gerade aus, kam er nach Sarajevo, ganz von Sinnen vor Sorge um seine Frau und
die drei Kinder, er war kaum wiederzuerkennen, aber als man ihn erkannte,
verurteilte man ihn als Deserteur zum Tod durch Erwürgen. Avdija Suprda, der
Fähnrich, ein Held, der sich vor nichts fürchtete, der hundert Stürme überlebt
hatte und von tausend Kugeln verschont geblieben war, widmete sich nach der
Auflösung des Heeres, nach der Heimkehr in sein Dorf Lasica dem Obstanbau. Er
stürzte von einem Birnbaum und starb.
    So berichte ich als einziger
überlebender von den Toten. Und aufrichtig gesagt, es ist mir lieber so, als
daß sie lebten und von mir berichteten, zumal ich nicht weiß, wie sie über mich
reden würden, so wie sie nicht wissen, wie ich über sie rede. Sie haben das
Ihre vollbracht und keinen Schatten hinterlassen. Zurückbleiben wird nur, was
ich von ihnen berichte, sei es nun wahr oder unwahr.
    Nun, dieses Dutzend Männer aus
Sarajevo war, wie Tausende andere, aufgebrochen, um etwas zu erobern, was sie
nicht brauchten, sie hatten für das Reich gekämpft, ohne daran zu denken, daß
sie und das Reich nichts miteinander zu schaffen hatten, was ihre Kinder später
zu spüren bekamen, als niemand einen Pfifferling für sie gab. Lange hat mich
der nutzlose Gedanke gequält, wie dumm und ungerecht es ist, daß so viele gute
Menschen gefallen sind, gefallen für ein Phantasiegebilde, dessen Namen man
nicht einmal kennt. Was wollten sie im fernen Rußland, am fernen Dnjestr? Was
hatten der Schneider Ahmed Misira, der Buchbinder Paro dort zu suchen, was die
beiden Söhne des Barbiers Salih vom Alifakovac, der Kesselschmied Sovo, der
Ausrufer Hido? Selbst wenn sie dieses unglückselige Chotin gehalten, wenn sie
fremden Boden erobert hätten, was hätte sich geändert? Hätte es mehr
Gerechtigkeit und weniger Hunger gegeben, und wenn ja, wäre den Menschen nicht
der Bissen im Hals steckengeblieben, da er doch mit fremdem Leid erkauft war?
Und hätten sie glücklicher gelebt? Nein, nicht im mindesten. Ein anderer
Schneider Misira hätte mit krummem Rücken das Tuch zugeschnitten und wäre ausgezogen,
um in unbekannten Sümpfen zu fallen. Zwei Söhne eines anderen Barbiers
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