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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung
Autoren: Meša Selimović
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die Beamten des Sultans fortgejagt und weder Geld noch
Menschen hergegeben.
    Ramiz hat nicht umsonst in
Župča gesessen!
    Mein guter Mula Ibrahim, über die
Grausamkeit der Menschen zu Tode erschrocken, spricht nur noch vom Wetter und
von der Gesundheit, und selbst das tut er leise und vorsichtig, denn alles kann
verdächtig sein, auch wenn man sagt, daß das Wetter schlecht ist oder daß man
sich nicht wohl fühlt. Mich aber hat er nicht vergessen. Er hat eine billige
Wohnung für mich gefunden, klein, doch für uns ausreichend, und Arbeit als
Lehrer, etwas anderes hätte ich auch nicht genommen. Ich lehre sie das Lesen
und Schreiben und versuche, ihnen ein wenig Güte beizubringen, in der Hoffnung,
daß meine naiven Worte ihr Herz erreichen.
    Unter den Kindern sitzt bisweilen
auch Mahmut Neretljak mit seinen spitzen Knien, reibt sich schweigend das
kranke Bein, hört zu, wiegt den Kopf, und ich weiß nicht, ob das Zustimmung
oder Zweifel bedeutet.
    Besonders bedrückt war er, als wir
in den sicheren Hort der Schule zurückkehrten, nachdem wir den zehn gefesselten
Männern aus Župča auf ihrem Weg zur Festung das Geleit gegeben hatten.
Neben ihnen ging mit den Wächtern der ehemalige österreichische Gefangene, der
fröhliche Ferid. Er hat die Aufgaben des seligen Avdaga, nicht jedoch seine
Gewohnheiten übernommen. Er hat seinen Besitz bekommen, sich im Haus
niedergelassen, die Frau und seinen Nachfolger im Ehebett mit den fünf Kindern
fortgejagt, ist Muselim geworden und vergilt die wiederhergestellte Gerechtigkeit
mit Grausamkeit.
    Die Männer aus Župča ließen
sich von den bewaffneten Wächtern abführen, als begriffen sie nicht, wohin man
sie brachte und was sie getan haben sollten.
    Ihre Frauen und Angehörigen standen
schweigend am Straßenrand.
    Und vom Sammelplatz zogen die
Soldaten in den Krieg.
    Auch ihre Mütter, Väter, Schwestern, Mädchen waren
gekommen. Sie weinten oder schwiegen verzweifelt.
    Der Barbier Salih vom Alifakovac
stand abseits. Wußte er die Wahrheit über seine Söhne, oder hoffte er noch?
    Wer von ihnen, die fortgehen, wird
fallen? Und wo? In den Donausümpfen? In den Wäldern Bessarabiens? Auf den
fernen, unbekannten Schlachtfeldern?
    Ist ein Ahmetaga Misira unter ihnen,
der Aga geworden ist und das mit dem Leben anderer und seinem eigenen bezahlen
wird? Wo ist der zornige Ausrufer Hido, der seiner Armut entfliehen will? Ist
ein zweiter Ibrahim Paro vor seinen Frauen davongelaufen? Sind hier die Söhne
eines zweiten Barbiers Salih, ist Husein Pišmiš da, Smail Sovo, Avdija Suprda?
    Es ist gleichgültig, wie sie heißen,
ihrer harrt dasselbe Schicksal.
    Es ist gleichgültig, ob sie traurig
oder krampfhaft lustig sind, sie werden nicht zurückkommen. Auch meine Kameraden
sind nicht zurückgekommen. Alle sind gefallen.
    Werden auch meine Kinder diesen
traurigen Weg gehen, wenn sie erwachsen sind?
    Werden sie ebenso dumm leben wie ihre
Väter?
    Wahrscheinlich werden sie es tun,
aber ich will nicht daran glauben.
    Ich will es nicht glauben, doch ich
kann mich der Furcht nicht erwehren.
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