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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen
Autoren: Maike Hallmann
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flachen Kieseln, um sie über das Wasser flitschen zu lassen. Riesig war der See, das Ufer hier und da so dicht bewachsen, dass man sich mit einer Machete den Weg zum Wasser hätte hindurchbahnen müssen, aber es gab auch flache Uferabschnitte. Der durchnässte Sand war grau und schwer, sah aber recht fein aus. Vielleicht war es hier im Hochsommer richtig schön – soweit es in Schottland überhaupt einen richtigen Sommer gab. Jetzt war September, und eigentlich hätte zumindest noch ein wenig Restsommer da sein dürfen, aber laut Reiseführer stiegen die Temperaturen ohnehin selten über achtzehn lausige Grad.
    Benny kam nicht annähernd an seinen eigenen Rekord von achtzehn Sprüngen heran und hörte auf zu zählen, als er Eriks Rekord aus dem letzten Sommer eindeutig übertroffen hatte. Als er daran dachte, musste er grinsen. Sie waren sich nicht einig geworden, wer richtig gezählt hatte, ob es neun oder elf Sprünge gewesen waren, aber als Benny direkt danach unzweifelhaft achtzehn geschafft hatte, hatte so ein Kleinkram natürlich keinen mehr interessiert. Erik – vermutlich der Einzige, den er vermisst hätte. Und der Einzige, der sich wirklich freuen würde, wenn Benny zurückkam. Benny neigte nicht dazu, viele Freundschaften zu schließen.
    Lustlos warf er einen letzten Stein, der zweimal aufkam und dann versank. Mit einem Mal kam ihm auch Hamburg nicht reizvoller vor als Schottland. Die Altbauwohnung am Park mit Ausblick auf den Weiher, der nur einen Bruchteil so groß war wie dieser See, die Wohnung, die für zwei Leute viel zu groß geworden war und ihm trotzdem meistens erstickend eng vorkam – kein Zuhause, das einen mit glühender Sehnsucht erfüllte. Er stellte sich vor, wie sein Vater allein in die 102 Quadratmeter zurückkehrte, dem Echo seiner Bewegungen lauschte und morgens einsam seinen schwarzen Kaffee trank. In der Küche, in der noch die Kissen mit den komischen bunten Troddeln lagen, die Bennys Mutter auf einem ihrer blöden Flohmärkte erbeutet hatte. Jabba, der fette Kater, hatte die Troddeln zur Hälfte abgefressen, was nach Bennys Meinung eine erhebliche Verbesserung des Designs darstellte.
    Der hartnäckige Regen kribbelte auf seiner Haut wie tausend Käferfüße, allmählich wurde er trotz der Winzigkeit der Tröpfchen nass. Die letzte Handvoll Steine verstaute er einem alten Reflex folgend unter einem Busch, was albern war, da er nicht wiederzukommen gedachte. Dann blickte er sich seufzend um und wühlte in seiner Hosentasche nach Geld. Da war noch das Wechselgeld von heute Morgen, als er am Flughafen ein leichenweißes belegtes Brötchen von der Konsistenz eines durchweichten Lappens gekauft hatte. Ein paar Münzen nur. Vielleicht fand er ja im Dorf einen Kiosk oder etwas Ähnliches. Er wandte sich vom See ab und trabte den langen Weg zum Dorf entlang.
    Die Straße stieg steiler an, als er gedacht hatte. Wer kam eigentlich auf die blödsinnige Idee, ein ganzes Dorf an einen Hang zu bauen, wenn oberhalb des Tals oder im Tal selbst genug Platz war, um dort zehnmal so viele Häuser auf derselben Höhe unterzubringen?
    Als er an der Mauer vorbeikam, auf der vorhin jemand gesessen hatte, wurde er unwillkürlich langsamer und hielt Ausschau. Aber er sah nichts. Die kleinen blauen Blüten der Pflanze, die sich mit dem Mut der Verzweiflung in die Fugen zwischen den kindskopfgroßen Steinen klammerte, hingen nass und trübselig herunter. Behutsam hob er eine davon an, sie war so schlaff wie ein nasses, welkes Blatt. »Auch wurde hier im Notfall Dünger an das einfache Pflanzenvolk ausgegeben«, blödelte er und imitierte Alasdairs gespreizten Tonfall ebenso wie seinen affigen Akzent. »Gerome, schreib das mit! Gerome, mach Platz! Gerome, steck den Kopf in den Arsch! Und dann sag: Ja, Sir! «
    »Ich sehe …«, sagte jemand von oben, und Benny fuhr erschrocken zusammen. Er blinzelte hoch, gegen den feinen Regen. Dort oben saß ein Mädchen auf der Mauer, etwa in seinem Alter.
    »Ich sehe«, feixte sie, »du hast Alasdair kennengelernt. Gar nicht schlecht. Vielleicht die Nasenflügel noch ein wenig blähen, dann kommst du recht nah dran.«
    Dünn und mickrig war sie, das Haar klebte ihr feucht am Kopf, so fein und hell, dass es aussah, als wüchse ihr nur nasser Flaum am Schädel. Als sie grinste, bewegten sich ihre Ohren mit und schoben sich ein wenig nach oben. Es waren die prächtigsten Segelohren, die er je gesehen hatte; an diesem kleinen, etwas schiefen Gesicht sahen sie aus wie die
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