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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen
Autoren: Maike Hallmann
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schob er die Tür auf, drückte sich durch den Spalt und war fort.
    Mit offenem Mund starrte Benny den Kerrigan an, als erwarte er von ihm eine Antwort. Der Leprechaun saß auf der Anrichte neben einer Glaskaraffe voll Milch und betrachtete die Szene, die sich ihm bot. »Neutralität, Mister Reutter, Mister MacGregor«, sagte er heiser. »Ich muss doch sehr um Neutralität bitten. Die Schwestern haben verhandelt. Die Schwestern haben entschieden. Ein tragischer Ausgang, gewiss, aber es ist, wie es …«
    »Du Stück Scheiße«, fauchte Alasdair. Seine Stimme war voll Zorn, die Augen jedoch seltsam leer. Er kauerte sich neben das, was von seiner Schwester übrig war, seine Hände irrten über den kleinen Leib, aber er schien sich nicht zu trauen, sie zu berühren. »Oh, bei Pan«, flüsterte er und hatte Benny und den Kerrigan offenbar ganz vergessen. »Nein. Nein, nein, nein! Bitte – nein! «
    Der Kerrigan betrachtete ihn eine Weile nachdenklich, dann wandte er sich wieder an Benny. »Mister Reutter, wenn ich Sie vielleicht bitten dürfte zu gehen? Ich halte die Zusammenkunft für beendet. Wir haben Dinge zu besprechen, Mister MacGregor und ich. Äußerst wichtige Dinge. Die kleine Königin ist tot. Ja, sie ist tot. Der Tod von Monarchen erfordert sofortige Maßnahmen, was das Königreich betrifft.« Die kleinen, flinken Augen wanderten zu der Gestalt im hellblauen Leinenkleid und weiter zu Alasdair, der noch immer neben ihr kauerte und jetzt ganz vorsichtig eine Hand nach ihrem Gesicht ausstreckte – und sie wieder sinken ließ. Mit einem Mal konnte Benny ihn nicht mehr verabscheuen.
    »Mister Reutter?«
    Benny zuckte zusammen und schaute in das Gesicht des Kerrigans. Es war ruhig und gefasst. Er sah weder überrascht aus noch entsetzt, nur ein klein wenig ungeduldig, als stehle ihm Benny lästigerweise seine Zeit.
    Das hier ging ihn nichts an. Plötzlich wurde ihm bewusst, welch ein Glück er hatte, wenn er aus der Nummer wirklich ohne Schaden rauskam. Wenn Alasdair ihn tatsächlich in Ruhe ließ und auch der Kerrigan kein weiteres Interesse mehr an ihm hatte.
    Sein Blick irrte durchs Zimmer und blieb an Leslies reglosem Leib hängen. Zerbrechlich sah er aus und viel kleiner als vorher. Benny starrte den verlassenen Körper an. Er fühlte sich taub und leer.
    »Wenn ich Sie bitten dürfte, die … nun, die sterblichen Überreste von Miss Leslie mitzunehmen?« Der Kerrigan war seinem Blick gefolgt. »Wir wissen ja mit Überresten nichts anzufangen, von uns gibt es keine. Aber ich glaube, Menschen haben für so etwas Verwendung, nicht wahr?«
    »Verwendung«, wiederholte Benny stumpf.
    »Bedauerlich«, seufzte der Kerrigan und schaute Leslies Körper an. »So viel Arbeit, und nun so nutzlos. Übrigens habe ich den Nasenrücken geschnitzt, damals, wussten Sie das?«
    Stumm schüttelte Benny den Kopf.
    »Na ja. Woher auch? Jedenfalls eine ausgezeichnete Arbeit. Sehr bedauerlich.«
    »Das Ding wird nicht auf dem Friedhof unserer Familie begraben.«
    Benny brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass es Alasdair hasserfüllte Stimme war, die er gehört hatte. Er wandte den Kopf. Alasdair war aufgestanden und starrte ihn an, die hellen Augen loderten.
    »Welche Familie?«, erkundigte sich Benny. »Eine verrückte Mutter, ein Vater, der nicht da ist, und du. Schöne Familie.«
    »Neutralität!«, mahnte der Kerrigan, und das war gut so, denn sonst hätte sich Alasdair den Schürhaken gegriffen und wäre damit auf Benny losgegangen. Sie starrten einander an, und Benny begriff, dass er immerhin eines geschafft hatte: Er war kein lästiger Niemand mehr. Für den letzten Spross der glücklichen Familie MacGregor war es jetzt eine persönliche Angelegenheit.
    Er bückte sich und schob die Hände unter Leslies Schultern und Beine, dann hob er sie behutsam hoch. Sie wog fast nichts. Die Stille ihres Leibs verschlug ihm den Atem. Seine Mutter hatte er nie tot gesehen. Überhaupt hatte er noch nie einen toten Menschen gesehen.
    »Miss Leslie war streng genommen kein Mensch«, gab der Kerrigan freundlich zu bedenken.
    Mehr, als du überhaupt einen Begriff davon hast, dachte Benny, und am nachdenklichen Blick des Leprechauns sah er, dass der Kerrigan auch diesen Gedanken gehört hatte.
    Er brachte Leslie heim. Durch die Tür, die sich für ihn öffnete, den Gang hinunter, die Treppe, die jetzt nur noch wenige Windungen hatte. Durch das leere Glen und über die Brücke und den ganzen Weg am See entlang bis zu Gins Haus. Er
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