Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen
Autoren: Maike Hallmann
Vom Netzwerk:
gesehen hatte. Wenige Monate war sie alt gewesen, ein eigenartiges Kind, ein Säugling noch, verformt und seltsam, das nicht an der Brust der Mutter trinken mochte, weil trotz aller Bemühungen und Künste der Kerrigans ihr Magen keine Muttermilch vertrug. Ein Kind, dessen klarer Blick die Mutter um den Verstand gebracht hatte, weil darin nicht die blauäugige Unschuld eines Babys gelegen hatte, sondern ein voll entwickelter Verstand. Allein auf einer Decke hatte sie gelegen, auf der Wiese am Fluss, weil ihre Mutter den ersten von unzähligen Anfällen erlitt, um sich nicht eingestehen zu müssen, was sie längst ahnte.
    Feiner Nebel wehte über die Wiese. Und aus diesem Nebel war Grau getreten. Ein riesiger Hund, wie er auch auf einigen Bildern im Haus der MacGregors zu sehen war, einer wie die beiden, die im Herrenhaus auf dem Kuhfell lagen und meistens schliefen. Sie hatte ihm entgegengeschaut, ohne Angst. Hatte einfach nur geschaut, wie sich sein riesiger Kopf senkte, die lange Schnauze voller Zähne, die er hinter den Lefzen verbarg. Sie hatten einander angesehen, und sie wusste, dass er gekommen war, um es zu beenden, bevor es richtig anfing. Damals hatte sie geglaubt, es sei, weil sie keine wirkliche MacGregor war und er es erkannte. Später, als sie ihn auf dem Clanwappen gesehen hatte, auf den Wandteppichen, war sie ganz sicher gewesen. Er beschützte die Familie MacGregor, und sie gehörte nicht dazu. Ein sehr kurzes Leben wäre das gewesen, wenn er sanft ihren winzigen Schädel mit den riesigen Zähnen zerknackt hätte. Aber sie schauten einander lange an, und er tat es nicht. Stattdessen legte er sich irgendwann neben sie und wärmte ihren kalten kleinen Leib, bis Mariah Logan mit wehenden Röcken über die Wiese gelaufen kam, um die kleine Miss Leslie zu suchen.
    Jetzt schauten sie einander an, und sie sah die Qual in seinen Augen, die ihn zerriss. Diesmal war es genau andersherum. Damals hatte er sie lange angeschaut und sich entschlossen, ihr nicht wehzutun und sie zu beschützen. Jetzt schaute er sie an, und sie sah, wie er sich anders entschied als damals.
    Ich liebe dich, dachte sie. Dummer Grau. Es wird ja alles nichts helfen. Du verschaffst Glenshee nur ein wenig Zeit – nicht mehr.
    Er wandte sich von ihr ab. Und sprang.
    Unwirklich wie ein Traum war es, und wie manchmal im Traum wusste Benny, was geschehen würde, als hätte er es schon einmal gesehen, und konnte es doch nicht aufhalten. Grau sprang, die entsetzlichen Zähne entblößt. Alasdair warf sich ihm entgegen, aber die Wucht von Graus Angriff stieß ihn beiseite. Und dann war da nichts mehr zwischen Graus Zähnen, die so fest und wirklich waren, und einem kleinen Mädchenkörper. Nichts mehr außer einem dünnen blauen Leinenkleid.
    Es ging sehr schnell. Grau hielt sich nicht lange mit ihr auf. Sie hatte Zeit für einen schrillen, hohen Schrei. Mehr nicht. Dann war es vorbei. Benny schaute hin, aber er sah nicht viel, nur den riesigen Leib des Wolfshunds, darunter ein Fetzen Blau, und ein wenig Blut war gegen das Sofa gespritzt. Eine winzige Kehle war es nur, ein einziger Biss genügte.
    Alasdair schrie auf. Es war ein Schrei, wie ihn Benny noch nie gehört hatte. Mit irren Augen packte Alasdair den Schürhaken beim Kamin, aber da wich Grau bereits zurück und hinterließ Hellblau und Goldblond und leuchtendes Rot auf dem Boden. Ohne Alasdair zu beachten, wandte er den riesigen Kopf zu Leslie. An seiner Schnauze klebte Blut.
    Hinter Benny ein Keuchen. Er fuhr herum.
    Leslie war weiß wie eine frisch gekalkte Wand. Sie öffnete den Mund, aber es kam weder ein Laut heraus, noch tat sie einen Atemzug. Ihre Augen sahen nichts mehr. Die Beine, die etwas krummen, dünnen Beine, gaben nach. Benny fing sie auf. Sie wog fast nichts.
    Keine Verletzung. Kein Blut. Kein Röcheln. Nur entsetzliche Stille. Benny hielt sie und spürte, wie etwas in ihr den Zusammenhalt verlor. Wie das, was Leslie gewesen war, sich verflüchtigte wie Nebel. Es ging so schnell. Es war eigentlich schon vorbei, ehe er es recht begriff. Sie schlief nicht ein, sie starb nicht einmal richtig, sie verging nur, und alles, was er in Händen hielt, war eine leere Hülle aus Fleisch und Knochen und Muskeln und Sehnen.
    Fassungslos starrte er auf sie hinunter. Sah zu Grau auf. Der stand da, die Schnauze blutig, die Augen kalt und gelb. Benny öffnete den Mund, aber es kam kein Ton heraus.
    Grau wandte sich ab. Streifte Benny im Vorbeigehen ganz leicht. Mit der blutigen Schnauze
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher