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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit
Autoren: Connie Willis
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sie direkt sprechen.«
    Ich nickte dem Kirchendiener feierlich zu, winkte Carruthers und begab mich zurück ans Graben. Der Rest der zusammengebrochenen Gewölbebögen lag unter den Dachplatten, zusammen mit einem Gewirr elektrischer Drähte und einer zerbrochenen Gedenktafel, auf der stand: »Ruhe in Frieden in alle Ewi…«, ein Wunsch, der offenkundig nicht in Erfüllung gegangen war.
    Ich räumte eine ungefähr zwei Meter breite Stelle rings um die Säule frei. Nichts. Ich kroch über den Schutt, suchte die Überbleibsel der Säule, fand ein Stück davon und grub erneut.
    Carruthers kam herbei. »Der Kirchendiener wollte wissen, wie die Königin aussah«, sagte er. »Ich sagte ihm, sie hätte einen Hut getragen. Stimmt doch, oder? Ich kann mich nie richtig erinnern, welche von ihnen diese Hüte trug.«
    »Alle. Außer Victoria, Sie trug so eine Art Spitzenhaube«, erklärte ich. »Und Camilla. Sie war nicht lange genug Königin. Sag ihm, ihre Majestät hätte Königin Victorias Bibel gerettet, als der Buckingham Palast bombardiert wurde. Hätte sie im Arm hinausgetragen, als wäre sie ein Baby.«
    »Wirklich?« fragte Carruthers.
    »Nein. Aber es wird ihn davon abhalten, zu fragen, warum du den Helm eines Sprengtrupps trägst. Und es bringt ihn vielleicht dazu, zu erzählen, was vergangene Nacht gerettet wurde.«
    Carruthers zog ein Blatt Papier aus der Tasche seines Anzugs. »Die Kerzenleuchter und das Kreuz vom Hochaltar und das aus der Smithschen Kapelle wurden von Probst Howard und der Brandwache gerettet und der örtlichen Polizei übergeben. Ebenso ein silberner Abendmahlskelch, ein hölzernes Kruzifix, eine silberne Hostienschale, die Epistolarien, die Evangelien und die Regimentsfahnen des Königlichen Regiments von Warwickshire, siebtes Bataillon«, las er vor.
    Das stimmte mit der Liste in dem Bericht des Probstes über den Angriff überein. »Und nichts über des Bischofs Vogeltränke«, sagte ich und blickte über die Trümmer. »Was bedeutet, daß sie noch irgendwo hier steckt.«
    »Kein Glück gehabt?« fragte Carruthers.
    »Nein«, erwiderte ich. »Es ist wohl zwecklos zu hoffen, daß schon früher irgend jemand eintraf und sie bereits gefunden hat, nicht wahr?«
    »Keiner von uns jedenfalls«, sagte Carruthers. »Davis und Peters gelang es nicht einmal, das richtige Jahr zu treffen. Ich brauchte vier Versuche, um so nahe heranzukommen. Das erste Mal landete ich am neunzehnten. Dann fand ich mich Mitte Dezember wieder. Beim dritten Mal traf ich zwar genau die Zeit, richtiger Monat, richtiger Tag, zehn Minuten, bevor der Luftangriff begann. Allerdings steckte ich irgendwo zwischen hier und Birmingham mitten in einem Feld Ibisse.«
    »Ibisse?« Ich dachte, ich hätte mich verhört. Ibisse wuchsen doch nicht auf dem Feld, oder?
    »Kürbisse«, sagte Carruthers gereizt. »In einem Feld Gemüsekürbisse. Und das war überhaupt nicht witzig. Die Bauersfrau hielt mich für einen deutschen Fallschirmjäger und sperrte mich in der Scheune ein. Ich brauchte ewig, um dort wieder rauszukommen.«
    »Und was ist mit dem neuen Rekruten?« wollte ich wissen.
    »Der kam dicht vor mir durch. Ich las ihn auf, als er gerade die Landstraße nach Warwick entlang irrte, ohne die geringste Ahnung, wohin er eigentlich sollte. Hätte ich ihn nicht gefunden, wäre er in einen Bombentrichter gefallen.«
    Was, wenn man’s genau bedachte, nicht das Schlechteste gewesen wäre. Der neue Rekrut hatte es aufgegeben, Mr. Spivens zu beobachten, und war wieder damit beschäftigt, die Taschenlampe zu untersuchen, um sie irgendwie zum Leuchten zu bringen.
    »Wir brauchten zwei Stunden bis hierher«, sagte Carruthers. »Und was war mit dir, Ned? Wie viele Versuche hattest du, bis du endlich hier warst?«
    »Nur den einen. Ich wurde von den Wohltätigkeitsbasaren abberufen, nachdem du so wenig Glück hattest.«
    »Wohltätigkeitsbasare?«
    »Lady Schrapnell hatte die Idee, daß des Bischofs Vogeltränke vielleicht auf einem der kirchlichen Wohltätigkeitsbasare angeboten würde«, sagte ich. »Du weißt doch, wo sie versuchen, Geld für die Verteidigung des Landes zu sammeln. Oder daß sie vielleicht in einer Alteisensammlung gelandet sei. Deshalb mußte ich seit September jede Kirche und Gemeinde abgrasen. Du weißt auch nicht zufällig, wozu ein Federhalterwischer gut ist, oder?«
    »Ich weiß nicht einmal, was ein Federhalterwischer ist.«
    »Ich auch nicht«, sagte ich. »Ich kaufte sieben davon. Zwei Dahlien, eine Rose, ein
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