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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition)
Autoren: Jan von der Bank
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Reflektion konnte Ole in etwa ausmachen, wie tief der entsprechende Grund unter Wasser lag. Einmal hatte Ole ein versunkenes Wrack im Farbenspiel der Oberfläche erkannt. Schwarz und grün und rostrot. Ein andermal das blitzende Silber eines Heringsschwarms.
    Auch die wechselhaften Spuren des Windes und der Strömung veränderten die Farbe der See. Ein leichter Lufthauch, der silbrig eine glatte Oberfläche kräuselt. Eine kräftige Sturmbö, die in unheilvollem Schwarz über das Wasser fährt. Eine Unterströmung, vom ansteigenden Verlauf des Meeresbodens an die Oberfläche geleitet, die einen flachen, blanken Kegel hinterlässt. Wind gegen Tide, deren dunkle, steile Seen mit giftig grauen Schaumkämmen auf der Stelle zu stampfen scheinen. Sie alle zeichneten ihr eigenes Bild in die Oberfläche und veränderten die Farben des Wassers und dessen Stimmung. Friedvoll. Heiter. Gereizt. Wütend. Heimtückisch.
    Ole spürte den Blick aus von Wellersdorffs Augen. Ein kühles Blaugrau. Ruhiges, winterklares Salzwasser über hartem Fels. Der Konteradmiral wartete geduldig auf eine Erklärung.
    Ole überlegte angestrengt. Er hatte sich nie viele Gedanken über seine Fähigkeit gemacht, die Farben der See unterscheiden zu können. Ihre Bedeutung zu erkennen. Stundenlang dasitzen und zusehen und sich später in aller Klarheit daran erinnern zu können. Er war damit aufgewachsen. Seit er mit seinem Vater als kleiner Junge zum ersten Mal durch die engen, lehm- und ockerfarbigen Priele Nordfrieslands zum Fischen hinausgefahren war.
    »Meistens ist es die Farbe«, sagte Ole zögerlich. »Manchmal auch nur die Helligkeit oder die Bewegung und die Art, wie die Wasseroberfläche beschaffen ist. Oder alles zusammen.«
    Er verstummte. Konnte es einfach nicht besser erklären.
    »Ich sehe es eben«, sagte er knapp.
    Der Konteradmiral schwieg einen Moment, dann nickte er.
    »Du siehst ein Schema aus Farbe und Form und erkennst, ob es richtig aussieht oder sich verändert hat?«
    »Ja, so ungefähr.«
    Ole war erleichtert, dass diese Erklärung den Konteradmiral zufriedenzustellen schien.
    »Du musst ein außergewöhnliches Erinnerungsvermögen haben«, stellte von Wellersdorff fest und schnippte seine Zigarette über Bord. »Wie ein indianischer Fährtenleser.«
    Ole war sich nicht sicher, ob Anerkennung in diesem letzten Satz mitgeschwungen hatte oder Spott.
    Eine Weile herrschte Schweigen.
    Dann fragte der Konteradmiral unvermittelt: »Hast du ein weißes Hemd?«
    Ole zwinkerte irritiert.
    »Du brauchst ein sauberes weißes Hemd, wenn du mit mir und Pimm und den anderen im Club zu Abend essen willst!«
    Oles Herz tat einen Sprung.
    »Ach, und waschen und kämmen solltest du dich vielleicht auch noch ein bisschen! Es könnten schließlich Damen anwesend sein.«
    *
    Als um Punkt sieben das Essen im ehrwürdigen Kommodore-Saal des Clubs aufgetragen wurde, war nur eine Dame anwesend – Lina! – und Ole Storm konnte unmöglich sagen, wann sie bezaubernder ausgesehen hatte: am Morgen, im Pyjama, mit offenen, schlafzerzausten Locken und mit vor Angriffslust blitzenden Augen, oder jetzt, mit nach hinten zusammengebundenem Haar, im eleganten Kleid und einem strahlenden Lächeln, das ein Paar reizende Grübchen auf ihre Wangen zauberte.
    Ihre Augen waren nicht einfach nur grün, wie Ole bisher geglaubt hatte. Jetzt, da er ihr genau gegenübersaß, sah er, dass sich ihre Farbe und Helligkeit in einem atemberaubenden Verlauf änderte. Vom tiefdunklen Blaugrün der äußeren Iris über jenes intensive Grün, das Ole am Morgen auf zwanzig Schritt Entfernung hatte blitzen sehen, bis hin zu einem hellen, fast türkis leuchtenden Ring, in dem feine silberne Strahlen auf das Schwarz ihrer Pupillen zuliefen. Silber und Türkis. Wellen einer Brandung über einem Sandstrand.
    Eigentlich hätte dieser Anblick mehr als genug sein können, um Oles Glück an diesem Tag komplett zu machen. Aber leider schien Lina eben diese Augen nur für Richard Korfmann zu haben.
    Als sei es nicht schon unverschämtes Glück genug gewesen, den Platz an Pimms Vorschot zu ergattern, jetzt hatte Richard sich in seiner unnachahmlichen Selbstsicherheit auch noch den Stuhl neben Lina unter den Nagel gerissen. Und während Ole, obwohl er ihr beinahe direkt gegenübersaß, kaum von ihr beachtet wurde, lachte und scherzte sie mit Korfmann und hing buchstäblich an seinen Lippen.
    Richard war hoch gewachsen und wurde wegen seiner strubbeligen blonden Haare, dem ebenmäßigen Gesicht
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