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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition)
Autoren: Jan von der Bank
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Skala festgenagelt und Vadder Preuß, der alte Hafenmeister, hatte düster angemerkt, die Luft sei ebenso erdrückend wie die politische Lage. Und ein reinigendes Gewitter ebenso unausweichlich wie der heraufziehende Krieg.
    Tatsächlich hätte sich die Vereinigung der internationalen Starbootklasse kaum einen dramatischeren Zeitpunkt für ihre Weltmeisterschaft aussuchen können als diese letzte Woche im August des Jahres 1939.
    Den ganzen Sommer über schon hatten sich die territorialen Spannungen zwischen Hitlers neuem Großdeutschland und Polen verschärft. England und der »Erbfeind« Frankreich hatten sich genötigt gesehen, den Polen militärischen Beistand zu garantieren, und im Osten stellte die unberechenbare Haltung Stalins eine zusätzliche Bedrohung dar. Hektische Diplomatie und lautes Säbelrasseln hüben wie drüben lösten einander in rascher Reihenfolge ab, und vieles erinnerte in fataler Weise an einen anderen schwülen Sommer vor nunmehr 25 Jahren, als Europa schon einmal auf den Abgrund zugetaumelt war.
    Ole Storm war neunzehn. Krieg war für ihn ein fremdartiges Ding, das er nur aus widersprüchlichen Erzählungen kannte. Die einen sehnten ihn so glühend herbei, als verspräche er ihnen die Erfüllung all ihrer Träume oder auch nur die Wiedergutmachung erlittener Schmach, während die anderen ihn als düstere Bedrohung empfanden. Das Ende der Welt. Wem sollte er glauben? Er hatte sich noch nicht entschieden. Vorerst.
    »Politik geht uns nichts an!«
    Das hatte Konteradmiral von Wellersdorff bei seiner Ansprache zur Eröffnung der Regatta als Rear Commodore der Starbootvereinigung gesagt – in Anwesenheit des Reichssportführers und einiger anderer Größen der Nationalsozialistischen Partei, ein mutiger, wenn nicht gar törichter Ausspruch für einen so ranghohen deutschen Offizier. Aber von Wellersdorff war in erster Linie Segler und daher fest entschlossen, dem Segeln den Vorzug vor der Propaganda zu geben. Auch der ausrichtende Club und die Wettfahrtleitung mühten sich redlich, eine entspannte und freundschaftliche Atmosphäre für die Wettkämpfe zu schaffen. Oberflächlich betrachtet war dies mit einem international stark besetzten Feld auch gelungen. Doch bei näherem Hinsehen lag auf allem bereits deutlich der Schatten des Kommenden.
    Zu sehr hatten sich in den letzten Tagen die schlechten Nachrichten überschlagen und die Flaute, deretwegen nicht gesegelt, dafür aber umso ausgiebiger debattiert werden konnte, tat ein Übriges. Kleine, resignierende Gesten und ein fatalistischer Unterton mischten sich in die Gespräche, und vielen wurde langsam bewusst, dass Segler unterschiedlicher Nationen, die seit Jahren eng befreundet waren, im Strudel der Ereignisse über Nacht auf verfeindete Seiten gerissen würden. Ein Hauch von Abschied war allgegenwärtig. Vor allem die zahlreich angetretenen deutschen und englischen Marineoffiziere waren sich im Klaren darüber, dass sie sich nur allzu bald als Feinde auf Leben und Tod gegenüberstehen würden.
    Ole nahm diese Stimmung wahr, ließ sich aber nicht von ihr anstecken. Seine eigene, überschaubare Welt war noch in Ordnung. Die politischen und ideologischen Verwicklungen schienen ihm fern und unwirklich, besonders an einem strahlend klaren Morgen wie diesem. Graubärtige Gespenster, die verschwinden, wenn die erste Brise den dünnen Morgennebel von der Wasseroberfläche weht.
    Gut gelaunt schwang er sich in den Sattel und trat in die Pedale.
    Ole Storm war durchschnittlich groß, jedoch recht sportlich gebaut. Den vollen, dunklen Haarschopf, dessen widerspenstige Strähnen sich beharrlich in die Stirn mogelten, hatte er seiner Mutter zu danken. So sagte man. Sie war bei seiner Geburt gestorben. Die auffallend klaren blauen Augen waren die seines Vaters. Der war Fischer, drüben auf Amrum. Von ihm hatte er auch den friesischen Dickschädel geerbt, sowie die mangelnde Bereitschaft, mehr Worte zu machen als unbedingt notwendig. Das jedenfalls behauptete Vaters jüngere Schwester Elfi, bei der Ole in Kiel wohnen durfte.
    Ole fand beides nicht weiter schlimm. Seine Wortkargheit wurde von Tante Elfis chronischem Mitteilungsbedürfnis mehr als aufgewogen. Zudem war er Segelmacher geworden und nicht Dichter. Oder gar Politiker. Und was den Dickschädel anging, so sorgte der immerhin dafür, dass er noch selber entscheiden konnte, was er wollte und was nicht. Die bereitwillige Selbstaufgabe zum Beispiel, mit der sich viele seiner Freunde aus der
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