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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition)
Autoren: Jan von der Bank
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Pyjamakragen vor der Brust zusammen. »Du kannst jetzt auch verschwinden!«
    Ole bemerkte den skandinavischen Akzent in ihrer Stimme.
    Dann bemerkte er noch etwas.
    Es sauste auf ihn zu und verfehlte seinen Kopf nur um Zentimeter, bevor es hinter ihm in tausend Stücke zersplitterte. Er drehte sich um und sah die Reste des Nachttopfes auf dem Pflaster.
    Gleichzeitig knallten oben die Fensterläden zu.
    Ole Storm blinzelte. Das Mädchen war definitiv das aufregendste weibliche Wesen, das er je gesehen hatte.
    *
    Die Segelmacherei hinter dem Clubhaus stand im Schatten der mächtigen Buchen des Düsternbrooker Gehölzes. Dennoch war der Innenraum dank großer Sprossenfenster an beiden Längsseiten überraschend hell. Die hintere Schmalseite des flachen Schuppens war mit tiefen, offenen Regalborden versehen, in denen sich zusammengelegte Segel, Tuchrollen, Tauwerke und Bootsbeschläge aller Art stapelten. Dort, wo die Werkstatt an das Clubgebäude anstieß, befanden sich der Eingang, das kleine Büro des Meisters sowie ein frei im Raum stehender gusseiserner Ofen mit der Aufschrift »Ätna«. Der »kleine Vulkan« war im Winter die einzige Wärmequelle im Schuppen. Oft, wenn die Stege und Dalben draußen im Olympiahafen weiße Manschetten und Stehkragen aus Eis trugen, setzte sich Ole mit seiner Arbeit vor Ätnas offene Feuerklappe, damit seine Finger im Umgang mit Takelnadel oder Marlspiker nicht allzu klamm und ungeschickt wurden. Den restlichen Raum der Werkstatt nahm der große, wie eine Bühne erhöhte Schnürboden ein. Auf ihm wurden mit Hilfe von straff gespannten Schnüren und biegsamen Straklatten die Tuchbahnen für ein neues Segel in die gewünschte Form geschnitten, bevor sie an der schweren, in den Boden eingelassenen Nähmaschine zusammengefügt wurden. Der Schnürboden war das Allerheiligste einer jeden Segelmacherei, und es war strengstens verboten, ihn mit Schuhen zu betreten. Normalerweise.
    Konteradmiral Paul Freiherr von Wellersdorff scherte sich nicht darum, und Oles Chef, der Segelmachermeister Heribert Rausch, war klug genug, ihn im Moment nicht darauf aufmerksam zu machen.
    »Dieser gottverfluchte Vollidiot!«, bellte von Wellersdorff ungehalten und tigerte mit schweren Schritten auf dem Schnürboden auf und ab.
    Ole seufzte. Nachher würde es an ihm hängen bleiben, die kleinen Steinchen, die der Marineoffizier zwangsläufig unter seinen Schuhen mit hereingebracht hatte, aus den rohen Holzdielen herauszupicken. Nichts war schädlicher für das empfindliche, leichte Baumwollgewebe, aus dem die Regattasegel gemacht waren, als Steinsplitter und andere scharfkantige Dreckpartikel.
    »Nicht genug, dass er den schwedischen Sportsfreund kompromittiert, indem er bei dessen Tochter einzusteigen versucht. Nein, er stellt sich dabei auch noch so hundserbärmlich dumm an, dass er sich das Bein bricht!«
    Von Wellersdorff blieb stehen und starrte aus einem der Fenster.
    »Und mit solchem Personal will der Führer einen Krieg vom Zaun brechen! Zum Totlachen.«
    Als Kommandeur der Marineschule in Flensburg-Mürwik, hieß es, war er ein strenger, aber gerechter Vorgesetzter. Er stammte aus einer alten holsteinischen Adelsfamilie, die eine ganze Reihe von erstklassigen Seefahrern und Offizieren hervorgebracht hatte, was man bei einem Blick in seine kühlen grauen Augen sofort zu glauben bereit war. Gleichzeitig aber hatte er auch den Ruf, »exzentrisch« zu sein, was in diesen Tagen eine vorsichtige Umschreibung dafür war, dass er bei der Ausbildung seiner Kadetten mehr Gewicht auf die nautische als auf die ideologische Erziehung legte und deswegen bereits mehrere Male bei seinem Vorgesetzten Admiral Raeder und der obersten Heeresleitung in Berlin angeeckt war. Dass er es abgelehnt hatte, sich zu irgendeinem Zeitpunkt dieser Regatta in der Uniform der Kriegsmarine zu präsentieren – auch jetzt trug er einfache Knickerbocker, Wollpullunder und ein schlichtes weißes Hemd –, war ein weiterer Beleg dafür, dass ihm weniger an großdeutscher Etikette als an der internationalen Kameradschaft der Starbootsegler gelegen war. Von Wellersdorff war knappe fünfzig und sein streng nach hinten gekämmtes Haar wurde bereits grau und schütter. Er war eher klein und erst recht nicht athletisch, aber seine Ausstrahlung machte ihn zu einem beeindruckenden Mann.
    Und mit dem Brass, den er im Moment vor sich herschob, dachte Ole Storm, hätte er problemlos jeden 200-Pfund-Kerl aus dem Weg gerammt. Was er wohl dazu zu sagen
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