Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Falken Gottes

Die Falken Gottes

Titel: Die Falken Gottes
Autoren: Michael Wilcke
Vom Netzwerk:
Plage schlimmer wäre.«
    Sie verließen die Kammer und eilten die Treppe hinab. In der Küche nahmen sie mit den Wirtsleuten und dem Knecht Wendel die Morgensuppe zu sich, dann wurden Anneke und Lene in den Stall zu den Kühen geschickt. Anneke fühlte sich müde und erschlagen. Noch immer schwirrten die düsteren Traumbilder wie in einem wilden Reigen durch ihren Kopf. Sie schloß die Augen, massierte das Euter, legte dann Daumen und Zeigefinger an die Zitzen und ließ die Milch in den Holzeimer strullen.
    »Ich habe es satt«, murrte Anneke.
    »Was meinst du?« wollte Lene wissen, deren Kopf hinter dem massigen Hinterteil der Kuh verschwand.
    Anneke seufzte. »Jeder Tag ist wie der andere. Wir stehen in der Frühe auf, verrichten die Arbeit im Stall, dann helfen wir deinem Vater in der Braustube oder gehen deiner Mutter in der Küche zur Hand. Arbeit, Arbeit, Arbeit, bis der Abend hereinbricht.«
    Sie hörte Lene glucksen. »Was erwartest du? Du bist eine Dienstmagd. Und ich bin die Tochter eines Schankwirtes. Wenn Gott uns gewogen ist, werden wir irgendwann einen Mann heiraten, der es gut mit uns meint, und eine eigene Familie haben.«
    »Das ist mir nicht genug«, erwiderte Anneke.
    »Du bist seltsam.«
    |30| Mag sein, überlegte Anneke. Aber was war eigentlich so seltsam daran, mehr vom Leben zu erhoffen als ständige Mühsal und einen Ehemann, den man vielleicht nur deshalb liebgewann, weil er recht selten die Hand gegen einen erhob. Lag es denn nicht in der Natur des Menschen, darauf zu hoffen, ein wahrlich erfülltes Leben zu bestreiten?
    Das monotone Plätschern machte sie schläfrig. Ihr Kopf sackte gegen das Hinterteil der Kuh, und hätte sie nicht von draußen die Männerstimmen vernommen, wäre sie wohl eingeschlafen. Sie spitzte die Ohren, ließ die Hände ruhen und hörte den Schweden zu, die sich laut schwatzend am Brunnen aufhielten. In den vergangenen Monaten hatte Anneke es gelernt, die verschiedenen Sprachen der Gäste zu unterscheiden. Da die Friedensverhandlungen in zwei Städten abgehalten wurden, reisten die Gesandten oder deren Boten oft von Münster nach Osnabrück oder in die andere Richtung. Dieser rege Verkehr zwischen den Kongreßstädten brachte es mit sich, daß Spanier, Franzosen, Schweden, Dänen oder Italiener häufig die Monsbach-Schenke aufsuchten und hier nicht selten auch die Nacht verbrachten. Anneke verstand natürlich nicht, worüber diese Fremden miteinander redeten, aber am Klang weniger Worte konnte sie mittlerweile bestimmen, aus welchem Land sie stammten.
    Die Kerle dort am Brunnen sprachen schwedisch, und als Anneke ihnen zuhörte, war sie sich plötzlich gewiß, daß auch der Mörder im Wald in dieser Sprache geredet hatte.
    »Warum machst du nicht weiter?« fragte Lene. »Was ist mit dir?«
    »Nur eine Idee, die mir durch den Kopf geht«, raunte Anneke und wandte sich wieder der Arbeit zu.
    In die Tat umsetzen konnte Anneke diese Idee erst, als sie |31| sich nach dem Melken in den Schankraum begab. Wie sie es erwartet hatte, saßen die Schweden mittlerweile an einem der Tische und nahmen vor ihrer Abreise noch eine Morgenmahlzeit ein. Ein Duft nach Möhreneintopf und geräuchertem Speck hing unter der niedrigen Decke. Anneke stieß mit dem Fuß einige Hühner davon, die auf dem Bretterboden nach Brotkrümeln pickten, und trat in die angrenzende Küche.
    Der Monsbach-Wirtin lief sie nicht über den Weg. Wahrscheinlich schaute die in der Speisekammer nach dem rechten. Anneke blickte durch die Tür zu den Schweden, die geräuschvoll den Eintopf schlürften. Sie zögerte kurz, dann nahm sie eine Flasche vom Regal, entkorkte diese und ging zum Tisch der Schweden. Die drei Männer hielten in ihrer Mahlzeit inne, kauten aber weiter und musterten sie neugierig.
    Ohne ein Wort füllte Anneke ihre Becher mit dem Birnenschnaps, der im Grunde nur zu besonderen Gelegenheiten ausgeschenkt wurde. Die Schweden grienten, hoben die Becher zum Mund und tranken sie in einem Zug leer. Der älteste unter ihnen, ein grauhaariger, spitzbärtiger Kerl, wischte sich die Lippen ab und sagte in einem gut verständlichen Deutsch: »Welch herrliches Gesöff, Mädchen! Warum gibst du uns nicht die ganze Flasche mit auf den Weg? Wir haben einen anstrengenden Ritt vor uns.«
    Anneke stellte die Flasche in die Mitte des Tisches. Der Schwede, der dem Grauhaarigen gegenübersaß, wollte danach greifen, doch Anneke schob seine Finger zurück.
    »Ich verlange etwas dafür.«
    Der Grauhaarige nestelte an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher