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Die Falken Gottes

Die Falken Gottes

Titel: Die Falken Gottes
Autoren: Michael Wilcke
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skeptisch drein. »Schön und gut, aber wie, um Himmels willen, willst du nach Osnabrück kommen? Zu Fuß würdest du einen ganzen Tag unterwegs sein, und meine Eltern lassen dich ohnehin nicht gehen.«
    »Das stimmt.« Anneke schaute zu Seybert. Ihr war nicht verborgen geblieben, daß er sie die ganze Zeit über beobachtete, und es fiel ihr nicht schwer, seine Gedanken zu erraten. »Aber bald ist Markttag, und dein Vater wird sein Bier in die Stadt schaffen. Vielleicht kann er eine helfende Hand gebrauchen«, sagte sie so leise, daß Seybert es nicht hören konnte, und zwinkerte ihm kokett zu.

|35| Kapitel 4
    Der einsetzende Nieselregen machte die holprige Fahrt nach Osnabrück zu einer Strapaze. Anneke zog die Leinendecke enger um die Schultern und betrachtete die langsam hinter dem Regenschleier hervortretende Silhouette der Stadt.
    Seybert Monsbach, der die Zügel des Wagens führte, trieb die beiden Ochsen mit der Gerte schneller voran. Seitdem es regnete schimpfte er über die widrige Witterung, doch die Nässe hatte ihn nicht davon abgehalten, auf der Hälfte der Strecke von Anneke die versprochene Gefälligkeit einzufordern.
    Der Preis dafür, daß sie ihn zum Markttag nach Osnabrück begleiten durfte, war hoch gewesen. Widerwillig hatte sie ihm einen Kuß zugestanden, und als er sie an sich gezogen und seine Zunge in ihren Mund gedrängt hatte, waren ihr plötzlich Zweifel gekommen, ob es dieser Magnus Ohlin wirklich wert war, daß sie eine solche Bürde auf sich nahm. Wäre sie sich bewußt gewesen, welch Ekel sie in diesem Moment überkam, hätte sie wohl darauf verzichtet, Seybert diesen Kuhhandel anzubieten. Aus seinem Maul hatte es scharf nach Zwiebeln gerochen. Er hatte erregt gekeucht, während seine Zunge wie ein Fisch in ihrem Mund zuckte. Ihr war übel geworden, doch sie hatte ihn gewähren lassen. Erst als sich seine Finger zwischen ihre Beine gedrängt hatten, hatte sie ihn von sich gedrückt. Der lüsterne Ausdruck in seinen Augen hatte sie erschreckt, und einen bangen Augenblick lang befürchtete sie, daß sie den Bogen überspannt hatte und er nun wie ein Tier über sie herfallen |36| würde. Doch schließlich hatte Seybert von ihr abgelassen und die Fahrt wieder aufgenommen.
    Während der Wagen auf die dem Stadttor vorgelagerte Bastion zurumpelte, schaute Anneke gebannt auf den hohen Steinwall, der die Stadt umgab. Hinter den Mauern lugten die Dächer der Bürgerhäuser und der Stadtkirchen hervor. Es waren fast zehn Jahre vergangen, seit sie Osnabrück verlassen hatte, und in all dieser Zeit war sie nicht ein einziges Mal zurückgekehrt. Schon jetzt, bevor sie das Stadttor hinter sich gebracht hatte, machte ihr die Erinnerung an den Vater das Herz schwer.
    Der Wagen polterte heftig durch ein Schlagloch und schüttelte sie durch. Anneke fragte sich, warum niemand auf die Idee gekommen war, die Unebenheiten der Zufahrtswege mit Steinen oder Erde auszubessern. Immerhin wurde doch ein so wichtiger Kongreß in der Stadt abgehalten, und sie überlegte, ob wohl auch die edlen Herren mit schmerzendem Rücken und wundem Hinterteil in Osnabrück angekommen waren.
    Sie erreichten die Heger Pforte. Seybert grüßte den Torwächter und hielt an, um den Warenzoll zu entrichten. Anneke betrachtete die engen Gassen. Zwar boten die hochragenden Hausgiebel einen gewissen Schutz vor der Nässe, doch nach der langen Zeit, die sie in einem Dorf gelebt hatte, kam es ihr so vor, als wollten die Wände sie schier erdrücken. Auch der Dunst der zahlreichen Misthaufen und der Gestank des Kotes, den die streunenden Hunde und Schweine hinterließen, schienen zwischen den Häusern kaum entweichen zu können und stiegen ihr säuerlich und schwer in die Nase.
    Anneke wunderte sich darüber, daß ihr nur wenige Menschen auf der Straße entgegenkamen. Sie hatte erwartet, daß eine Stadt, die Schauplatz eines solchen Kongresses war, nach den Einquartierungen der Gesandten und deren |37| Dienstpersonal schier aus allen Nähten platzen mußte. Doch da nach der Neutralisierung Osnabrücks die mehrere hundert Mann starke schwedische Garnison inzwischen abgezogen war, lebten im Grunde wohl nicht mehr Menschen zwischen diesen Mauern als zehn Jahre zuvor. Angelockt hatte dieser Kongreß aber augenscheinlich vor allem zwielichtiges Gesindel und Bettler. Die abgerissenen Gestalten lungerten in den Straßen herum, viele von ihnen verstümmelt und auf Krücken gestützt, um Mitleid zu erheischen.
    Je weiter sie sich dem Marktplatz
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