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Die Fahrt nach Feuerland

Die Fahrt nach Feuerland

Titel: Die Fahrt nach Feuerland
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wahnsinns sammelt sich.
    Schützend setzte er sich vor Helena. Sie lag jetzt, wie auch Lucrezia, in einem kaum unterbrochenen Dämmerschlaf. Die totale Erschöpfung saugte sie aus, nur die Herzen schlugen noch. Aber einmal würden auch sie kapitulieren müssen – sie würden einfach stehenbleiben, ein Motor ohne Treibstoff.
    Die Mädchen würden es nicht mehr merken, wie sie auch die Schmerzen ihrer geschwürigen Körper nicht mehr spürten. Die Nerven hatten bereits abgeschaltet.
    Losskow war nicht darauf vorbereitet gewesen, obwohl er instinktmäßig soviel wie möglich Abstand zu Trosky gehalten hatte. Abstand: ein lächerliches Wort für die paar Zentimeter Freiraum. Lautlos, wie ein Tiger springt, stürzte sich Trosky plötzlich auf Losskow. Seine Augen funkelten, der Mund war verzerrt, sie fielen beide zum Eingang hin, ineinander verkrampft und zu keiner anderen Bewegung fähig, als sich gegeneinanderzupressen.
    »Fleisch!« stammelte Trosky heiser. »Fleisch! Immer Fleisch …«
    Losskow durchlief es eiskalt. Die letzte Minute war gekommen. Er ließ sich nach hinten aus der Insel fallen, zog Trosky mit und drückte ihn unter Wasser. Trosky hieb um sich, die rechte Faust umklammerte ein Messer, mit dem er Losskow abstechen wollte, aber unter Wasser hatte er nicht mehr die Kraft, Peters Körper zu treffen. Er tauchte auf, brüllte tierisch, suchte Losskow, der neben ihm aus dem Wasser schoß, und warf sich wieder auf ihn. Es war ein Kampf voll wilder Verzweiflung. Losskow tauchte weg, hängte sich an Troskys zappelnde Beine und zog ihn wieder unter die Wellen. Mit letzter Kraft umklammerte er Troskys Hüften, hielt sich daran fest, seine Lungen blähten sich, drohten zu platzen, aus Angst und Luftnot wurde ein einziger Schrei, der von der Brust bis in seinen Kopf drang und ihn zu zersprengen drohte, aber er hielt Troskys Beine fest und ließ sich erst nach oben treiben, als das Wasser ihn ersticken wollte.
    Trosky tauchte noch einmal auf, mit weit aufgerissenen Augen. Sein Kopf hob sich über die Wellen, tanzte wie losgerissen auf dem Schaum – und dann war die Hand da, reckte sich hoch, die Hand mit dem Messer, und Losskow warf sich wieder auf ihn, drückte ihn hinunter und trommelte mit beiden Fäusten auf seinen Kopf. Mit einem Tritt schleuderte er ihn weg, schwamm zu der träge treibenden Insel zurück, hing sich an das Außenseil und wartete.
    Trosky kam nicht wieder hoch. Die Wellen rollten gleichmäßig und langgezogen und deckten ihn zu. Irgendwo mochte er wieder an die Oberfläche kommen, um wegzutreiben – aber das sah keiner mehr, und keiner würde ihn jemals finden.
    Losskow drückte die Stirn gegen den Gummiwulst und schluchzte. Er hing draußen an der Rettungsinsel, bis er spürte, wie seine Muskeln in der Kälte des Wassers erstarrten.
    Bin ich ein Mörder, dachte er. Bin ich jetzt ein Mörder? Gott sei mein Zeuge: Er wollte mich schlachten! Er wollte mich auffressen wie Mr. Plump! Es gab keinen Ausweg mehr.
    Mühsam zog er sich in die Insel und warf sich auf den Boden. Im Hintergrund hob Helena den Kopf.
    »Ist er weg?« fragte sie mühsam. Seit Tagen die ersten Worte. Losskow zitterte am ganzen Körper vor Kälte und Grauen.
    »Ja«, stöhnte er. »Ja. Er ist weg.«
    »Jetzt können wir ruhiger sterben.«
    »Ja.«
    »Wir werden doch sterben?«
    »Ja.«
    »Gib mir deine Hand!« Sie tastete nach ihm, hielt seine Hand fest und legte sie auf ihren rissig aufgesprungenen, von Blut verkrusteten Mund. »Ich – ich bin ganz ruhig. Merkst du das?«
    Er nickte und weinte. Die Tränen rollten über sein zuckendes Gesicht, er kroch zu ihr, legte sich neben sie und umschlang ihren von Geschwüren übersäten Leib. Ihr blondes Haar, in den vergangenen Wochen lang geworden, fiel über ihn und verdeckte seine Augen.
    »Ich liebe dich«, sagte sie ganz schwach. »Ich bin so glücklich, daß du da bist. Sterben kann schön sein, Peer.«
    Es wurde Nacht, und sie lebten immer noch.
    Es wurde Tag, und sie erkannten noch das Licht.
    Aber sie begriffen nicht mehr, daß es die Sonne war. Es war einfach hell. Hell und grenzenlos weit.
    Am 74. Tag fischte sie der französische Frachter Liberté aus dem Meer.
    Eine Barkasse schleppte die Gummiinsel zum Schiff, mit einer Winde wurde sie hochgeholt. In Decken gewickelt, trug man Peter von Losskow, Helena Sydgriff und Lucrezia Panarotti in die Kapitänskajüte. Ihre Entdeckung war ein Zufall gewesen. Der Küchenjunge, der Abfall über Bord schüttete, sah weit draußen
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