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Die Fahrt nach Feuerland

Die Fahrt nach Feuerland

Titel: Die Fahrt nach Feuerland
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gab einen knirschenden Laut, als Trosky dem kleinen Mr. Plump das Genick herumdrehte. Es war nur eine Hebelbewegung seiner rechten Hand, die auf dem Hundekopf lag.
    Trosky kroch zum Eingang, hielt den toten Mr. Plump hinaus und schlitzte ihn mit einem Messer auf. Er zog das Fell ab, zerteilte den armseligen Körper und biß in sein Stück hinein, in den mageren Hinterschenkel des Hundes. Das Blut lief ihm aus den Mundwinkeln, den Hals hinunter, über die behaarte Brust, der Bart durchsetzte sich mit roten Streifen. Er schien das alles nicht zu spüren, wandte sich Losskow zu, der vom Ekel gewürgt wurde, und warf ihm den Rest des Hundes auf den Bauch.
    »Fleisch!« grölte Trosky. »Fleisch! Eine Woche Leben …«
    Er fraß wie ein ausgehungertes Raubtier, und etwas anderes war er auch nicht mehr. Mit seinen starken Zähnen zerriß er das Hundefleisch und schlang es mit leuchtenden Augen hinunter.
    Regungslos lag Helena unter ihrer Decke. Losskow war sich nicht klar, ob sie die Abschlachtung begriffen, ob sie überhaupt noch die Fähigkeit hatte, das Geschehen um sie herum wahrzunehmen. Sie aß und trank fast mechanisch, wenn Peter sie fütterte. Er schleifte sie zum Ausgang, wenn sie sich entleeren mußte, meist lag sie mit geschlossenen Augen und gab auf Fragen keine Antwort.
    »Will keiner mehr?« rief Trosky. »Sonst gehört er mir allein!«
    »Verrecke an ihm!« sagte Losskow.
    »Ihr empfindsamen Heuchler!« Trosky stopfte den Rest von Mr. Plump in eine Plastikhülle.
    »Tatar vom Rind und Mett vom Schwein, das freßt ihr! Aber bei einem dämlichen Hund fallen euch vor Mitleid die Zähne aus! Tier ist Tier, und Fleisch ist Fleisch. Es hat köstlich geschmeckt!«
    »Eine Prager Spezialität, ich weiß.« Losskow hielt sich den Leib. Der Tritt brannte in seinen Eingeweiden. Aber das Gefühl kehrte in die Beine zurück, er konnte die Füße wieder bewegen.
    Trosky starrte ihn aus weiten Augen an, wischte sich das Blut aus seinem Bart und schlenkerte mit der Hand. »Das hast du nicht umsonst gesagt, du germanischer Rotz!« sagte er mit rasselndem Atem. »Der nächste bist du: Fleisch ist Fleisch.«
    Der 72. Tag.
    Der Wahnsinn war überall. Im eigenen Hirn, in jedem Griff der Hände, in jeder Bewegung, im Pfeifen des Windes, im Klatschen der Wellen, im Schaukeln der Gummiinsel, im Knistern der Decken, selbst im Atmen. Überall war der Wahnsinn.
    Lucrezia und Helena dämmerten ihrer Auflösung entgegen. Die Geschwüre auf ihren Körpern butterten, und Losskow fragte sich, woher denn bloß noch die Feuchtigkeit aus diesen ausgedörrten Leibern komme. So gut es ging, wusch er sie immer noch jeden Tag mit Regenwasser ab, bis Trosky ihn anschrie:
    »Das Wasser ist zum Saufen da! Noch einen Tropfen verschenkt, und ich schlage dir den Schädel ein!«
    Seit Stunden beobachtete er Losskow, saß am Eingang und ließ sich keine Bewegung entgehen. Sein Blick war kalt und hungrig. Die Augäpfel bewegten sich hin und her, es war die einzige Bewegung in dem erstarrten Gesicht.
    Sie trieben jetzt in eine wärmere Gegend, das spürten sie an der Kraft der Sonne, an der ruhigeren See, an dem wärmeren Wasser. Die grobe Orientierung nach Sonne und Sterne nutzte nichts mehr. Was heißt auch schon Süden oder Norden, wenn einen nach allen Seiten tausend Meilen Ozean umgeben!
    »Vielleicht landen wir in Fidschi?« sagte Trosky einmal, als es sehr heiß war. »Wir schaukeln vielleicht schon im Pazifik und wissen es nicht.«
    Ab und zu zerbrach auch Troskys ungeheure Kraft. Dann hockte er am Eingang, blickte über das schaumgekrönte Meer und weinte laut. Oder er stand hoch aufgerichtet und brüllte den Ozean an, schrie seinen Haß hinaus, seine Angst, seinen Lebenswillen und seine furchtbare Ohnmacht.
    Ebenso plötzlich verwandelte er sich wieder, wurde das dumpfe Tier, das herumhockte, Losskow aus kalten Augen beobachtete, die Keksstücke abmaß, die Wassertropfen zählte und Lucrezia die Tropfen vom Hals leckte, wenn sie zu schwach war, um zu schlucken, und das kostbare Wasser aus den Mundwinkeln rinnen ließ.
    An diesem 72. Tag war Trosky ruhig. Er saß an der Gummiwand und summte vor sich hin. Losskow kannte den Rhythmus nun schon, es war »Fleisch, Fleisch, Fleisch, wir sind reich, reich, reich …« Das machte ihn vorsichtig. Er achtete auf jede Bewegung Troskys, auf jedes Zucken, auf das Spiel seiner Hände, auf die sich zusammenziehenden Zehen.
    Der Vulkan brodelt, dachte Losskow. Der Ausbruch bereitet sich vor. Die Energie des
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