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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals
Autoren: Marie Bostwick
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steilen Dach versehen. Verglichen mit den Villen, welche die Elm Street, die wichtigste Wohnstraße des Ortes, säumen, nehmen sich die alten Häuschen recht bescheiden aus.
    An der Elm Street sind die Grundstücke groß, zuweilen sogar riesig, und die Häuser decken die ganze Bandbreite der Baustile ab – vom Kolonialstil über den Federal Style bis hin zu griechischen und viktorianischen Anklängen. Auf den Plaketten an den Häusern findet sich das jeweilige Baujahr, das im Wesentlichen vom späten achtzehnten bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts datiert. Das neueste Gebäude stammt aus dem Jahr 1902. Geht man an einem Herbstnachmittag den Bürgersteig entlang, im Schatten der goldroten Ahornbäume, durch deren Blätterdach vereinzelte Sonnenstrahlen dringen, dann rechnet man fast damit, dass jeden Augenblick ein Herr mit Gehrock und Zylinder oder eine Dame mit Reifrock und Handschuhen aus Klöppelspitze das kleine Tor eines der weißen Staketenzäune öffnet und einem einen guten Tag wünscht. In New Bern zeigt sich auf Schritt und Tritt, wie rührig und einflussreich der örtliche Denkmalschutzverein ist.
    In diesem Ort sind Wohnen und Gewerbe nicht streng voneinander getrennt. Daher haben es die Einwohner auch zu Fuß nicht weit bis zu der kleinen, aber vielfältigen Auswahl an Restaurants, Galerien, Antiquitätenläden und Boutiquen, die in zweistöckigen Backsteinhäusern mit handgemalten Ladenschildern untergebracht sind. Auf der Einkaufsstraße von New Bern, die sinnigerweise Commerce Street heißt, gibt es keine einzige Neonreklame, und obgleich die Dorfläden sich auf das Geschäft mit den Touristen spezialisiert haben, vermittelt der Ort eine ursprüngliche Atmosphäre. (Allerdings hätte man Schwierigkeiten, im Ortskern einen Liter Milch oder ein Päckchen Schnürsenkel zu bekommen, da derart profane, aber unverzichtbare Artikel durchweg in schmucklosen Betonklötzen entlang der Ausfallstraße angeboten werden.)
    Auf meinem Rundgang durch das Städtchen, bei dem ich Pläne für den restlichen Tag schmieden wollte, stellte ich zufrieden fest, dass die Waren in den Schaufenstern weder überteuert noch allzu kitschig waren. Nirgendwo wurden T-Shirts angeboten, deren Aufdruck verkündete, dass die Freundin, Oma oder Ehefrau des Trägers in New Bern gewesen war und ihm nichts als ein lausiges T-Shirt mitgebracht hatte. Auch hatten die Ladeninhaber darauf verzichtet, ihre Geschäfte mit der altertümelnden Bezeichnung shoppe zu versehen. Ich freute mich auf einen kleinen Bummel, doch vorerst erinnerte mich mein knurrender Magen daran, dass ich noch nichts gegessen hatte.
    Mir standen drei oder vier Restaurants zur Auswahl, die alle einen guten Eindruck machten. Schließlich entschied ich mich für eins mit dem Namen »Grill am Anger«. Trotz der frühen Stunde war es brechend voll, und es dauerte einige Minuten, bis man mir einen Tisch zuwies. Während ich wartete, fiel mir auf, dass zwar viele der Gäste Touristen waren (sie verrieten sich durch die Tragetaschen und Fotoapparate), doch der gut aussehende grauhaarige Herr, der die Gäste zu ihrem Platz führte, begrüßte viele von ihnen mit Vornamen, wobei er den Damen einen Kuss auf die Wange gab und den Männern lachend die Hand schüttelte. Offensichtlich war das Lokal bei den Einheimischen ebenso beliebt wie bei Fremden. Der Grund dafür war unschwer zu erkennen: Die Atmosphäre hier war gediegen, aber nicht steif, und die in einem warmen Gelb gehaltenen Wände mit ihrer halbhohen ziegelroten Vertäfelung sowie die schlichten schwarzen Windsorstühle an den weiß gedeckten Tischen strahlten Gemütlichkeit aus. Und das Essen war einfach göttlich! Der Endiviensalat mit Hühnchen, den ich bestellte, war mit das Leckerste, das ich jemals gegessen hatte. Normalerweise esse ich höchst ungern allein, weil ich mich dabei immer unbehaglich fühle, doch hier, mit einem großen Glas Pinot Grigio vor mir auf dem Tisch, während eine laue Herbstbrise durch die geöffneten Türen zum Innenhof wehte und im Hintergrund angenehm leises Stimmengemurmel ertönte, konnte ich nur zufrieden lächeln.
    Als Abschluss des Mahls brachte mir die Kellnerin einen Cappuccino. »Sind Sie für einen Tag von New York hergekommen?«, erkundigte sie sich.
    »Nein, aus Texas. Ich habe mir für ein paar Tage ein Zimmer im Gasthof genommen. Ich wollte schon immer mal Neuengland im Herbst sehen.«
    »Texas?«, fragte sie und blickte mich interessiert an, während sie die Tasse
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