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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals
Autoren: Marie Bostwick
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abstellte. »Das ist aber ein weiter Weg. Auf jeden Fall sind Sie genau zur rechten Zeit gekommen. Das Wetter ist herrlich, und am Wochenende wird es hier bestimmt brechend voll.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Sind hier immer so viele Touristen?«
    Sie schüttelte den Kopf und stellte eine kleine Keramikschüssel mit rosa, blauen und weißen Zuckertütchen neben meine Tasse. »Wir haben regelmäßig Wochenendgäste aus New York, aber für ein richtiges Touristenziel sind wir zu weit von der Stadt entfernt – hier geht es nicht so zu wie in den Hamptons oder so. Mir kann das nur recht sein.« Sie grinste. »Ich war einmal übers Wochenende in East Hampton und konnte gar nicht schnell genug wieder nach Hause kommen – zu viele Menschen! Hier ist es im Sommer recht belebt, und natürlich kommen auch viele Besucher während des Indian Summers, aber der dauert ja nur ein paar Wochen. Die meisten Geschäfte machen siebzig Prozent ihres Umsatzes in nur etwa drei Monaten. Danach wird es hier ziemlich ruhig.«
    »Ist es dann nicht schwierig, seinen Lebensunterhalt zu verdienen?«, fragte ich.
    Die Kellnerin zuckte die Achseln. »In gewisser Weise schon. Wenn wir im Sommer schlechtes Wetter haben und die Touristen wegbleiben, kann es schwierig werden. Aber ich habe mein ganzes Leben hier verbracht und bin immer irgendwie durchgekommen. Wahrscheinlich würde ich woanders mehr verdienen, aber New Bern ist ein guter Ort, um meine Kinder großzuziehen. Außerdem glaube ich nicht, dass ich mit mehr Geld glücklicher wäre. Also werde ich wohl hier bleiben.«
    Wir unterhielten uns eine ganze Weile, bis der Inhaber, der in der Nähe der Theke stand, die Kellnerin mit einem Blick an ihre Pflichten erinnerte.
    »Darf ich Ihnen sonst noch etwas bringen?«, fragte sie rasch.
    »Nein, danke. Nur die Rechnung.«
    Sie zog die bereits ausgedruckte Rechnung aus der Tasche ihrer schwarzen Schürze und legte sie auf den Tisch. »Es war nett, mit Ihnen zu plaudern«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt. Wenn Sie Zeit haben, müssen Sie unbedingt ins Naturschutzgebiet fahren und dort einen Spaziergang machen. Um diese Jahreszeit ist es da wirklich schön.«
    »Danke, das werde ich tun.«
    Ich hatte eigentlich vorgehabt, nach dem Essen einen Schaufensterbummel zu unternehmen. Doch als neben mir ein ganzer Schwarm kamerabewehrter Senioren aus einem Reisebus quoll, überlegte ich es mir anders. Stattdessen überquerte ich die Straße und flanierte über den Dorfanger, in der Hoffnung, die Senioren würden sich bis zu meiner Rückkehr zerstreut haben.
    »Dorfanger«, so erfuhr ich bald darauf, war eine nette, altmodische Bezeichnung für eine städtische Grünanlage, die in den meisten Dörfern Neuenglands den Ortskern markiert. In New Bern erstreckt sie sich in der Breite über einen Straßenzug und in der Länge über drei. An ihrer Längsseite, in Ost-West-Richtung, verlaufen die Commerce und die Elm Street, während sich Maple und Church Street an den Schmalseiten befinden. Diese vier Straßen sind die wichtigsten Verkehrswege des Ortes, während – wie ich später herausfand – an der Proctor Street, die parallel zur Elm Street verläuft, die stattlichsten Villen liegen. Die Anwesen, die im Besitz von alten, begüterten Yankeefamilien sind, machen von der Straße aus gesehen nicht viel her, da sie hinter Bäumen und Hecken vor neugierigen Blicken verborgen sind. Betritt man jedoch eines dieser Grundstücke, so entdeckt man, kaum dass man die Sichtschutzgehölze hinter sich gelassen hat, Tennisplätze, Swimmingpools und alte Remisen. Sie sind um große, stattliche Wohnhäuser gruppiert, die nur höchst selten den Besitzer wechseln. Die Familiennamen der Bewohner finden sich auf den ältesten Grabsteinen des Friedhofes wieder. In diesem Teil der Welt gilt es als bewundernswert, ein großes Vermögen anzuhäufen, doch man stellt es nicht zur Schau.
    Gemächlich schlenderte ich durch den Park und blickte hinauf zu den leuchtend bunten Baumkronen. Einige der hohen Bäume standen dort gewiss schon seit Jahrzehnten, wenn nicht gar seit Jahrhunderten. Andere, mit noch schlanken, biegsamen Stämmchen, die man offensichtlich erst vor Kurzem gepflanzt hatte, waren ein wenig wahllos auf den Rasenflächen verstreut. In den unregelmäßig angelegten Beeten wuchsen winterharte gelbe und orangefarbene Chrysanthemen neben voll erblühten lila Hortensien und beinahe schon verwelkten langstieligen Geranien. Man hätte meinen
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