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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals
Autoren: Marie Bostwick
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im Rückspiegel sah, warf ich einen Blick auf den Tacho.
    Hundertvierzig. Erwischt. Wütend über mich selbst trat ich auf die Bremse und fuhr rechts ran, noch bevor das flackernde Blaulicht nahe herangekommen war.
    Der Polizist war ein nett aussehender junger Mann. Wenn er gelächelt hätte, wäre er Garrett auffallend ähnlich gewesen, doch seine Miene wirkte wie versteinert. Es war ein merkwürdiges Gefühl, einer Autoritätsperson im Alter meines Sohnes gegenüberzustehen, doch als er nach meinem Führerschein und dem Fahrzeugschein fragte, reichte ich ihm folgsam die Papiere.
    »Ist Ihnen klar, wie schnell Sie gefahren sind, Ms Dixon?«
    »Ungefähr hundertvierzig«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Schwindeln hatte keinen Sinn, da er es sowieso schon wusste; außerdem bin ich eine miserable Lügnerin. »Ich bin heute Morgen von Nashville aufgebrochen und wollte in einem Rutsch bis nach New Bern durchfahren, aber ich bin nicht absichtlich zu schnell gefahren. Die Straße war frei, und wahrscheinlich war ich in Gedanken versunken. Ich habe gar nicht gemerkt, wie schnell ich fuhr, bis Sie hinter mir auftauchten.«
    Er blickte auf meinen Führerschein. »Sie sind aus Texas und fahren ganz allein die Strecke bis nach New Bern?« Ich nickte.
    »Was führt Sie hierher?«
    »Das ist eine ziemlich lange Geschichte.«
    Drei Tage zuvor wäre mir der Gedanke, nach Neuengland zu fahren, so unwahrscheinlich vorgekommen wie die Vorstellung, ich sollte als Astronautin zur Internationalen Raumstation fliegen.
    Doch als es an jenem Vormittag um Punkt halb elf an meiner Haustür klingelte, wusste ich, dass es der Mann von der Umzugsfirma Elite Moving and Storage war. Robs Sekretärin hatte mir einen Tag zuvor die Nachricht hinterlassen, dass ein Mr Lindsay mich wegen des Kostenvoranschlages und der Terminabsprache aufsuchen wollte. Er würde mir sagen, bis wann ich meine Sachen zu packen und das Haus zu räumen hätte, das während der vergangenen zwanzig Jahre mein Heim gewesen war. Wie Rob trug auch Mr Lindsay auf Hochglanz polierte braune Cowboystiefel und lächelte breit, als er sich an meinem Küchentisch niederließ, ein Clipboard aus der Aktentasche zog und Formulare auszufüllen begann. Er war mir auf Anhieb unsympathisch.
    »Und zu welcher Adresse sollen wir Ihre Sachen bringen?«, fragte er, ohne aufzublicken.
    »Das weiß ich nicht.«
    Er hob den Kopf und zog irritiert die Augenbrauen hoch. »Mrs Dixon, ich kann Ihnen keinen Preis für den Umzug nennen, wenn ich nicht weiß, wie weit die Strecke ist.«
    »Tut mir leid, Mr Lindsay, aber ich weiß es auch noch nicht!«, entgegnete ich schroff. »Und wenn Ihnen oder Ihrer Firma oder Rob Dixon das nicht passt, dann ist es mir, offen gestanden, schnurzpiepegal. Schließlich habe ich Sie nicht hergebeten!«
    Unbeherrschtheit war eigentlich überhaupt nicht meine Art. Seit Wochen hatte ich praktisch ununterbrochen geweint, und jetzt raunzte ich hier einen vollkommen fremden Menschen an. Ich erschrak über mich selbst, doch Mr Lindsay, der offenbar zwei und zwei zusammenzählte, ließ sich nichts anmerken. Er senkte die Brauen wieder und setzte eine Miene routinierten und wenig überzeugenden Mitgefühls auf. Fälle wie meiner waren ihm schon öfter untergekommen.
    »Es tut mir leid, Mrs Dixon. Ich wusste nichts von den Begleitumständen Ihres Umzugs. Ich weiß, wie schwer das alles für Sie sein muss; eine Scheidung ist immer unangenehm. Aber bitte glauben Sie mir, ich möchte Ihnen nur helfen. Soweit ich weiß, wollen die neuen Besitzer am Fünften einziehen, und das bedeutet, Sie müssten das Haus bis Ende nächsten Monats geräumt haben. Wann werden Sie voraussichtlich alles geplant haben?« Er sprach mit gleichmäßiger Stimme und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
    Ich seufzte. »Ich habe mir schon mehrere Eigentumswohnungen in der Nähe angesehen, aber noch keine Entscheidung getroffen. Nicht, dass es da große Unterschiede gäbe. Sie sehen alle gleich aus – eine winzig kleine Küche mit Arbeitsplatten aus unechtem Granit, weiß gestrichene Wände, gläserne Schiebetüren, durch die man auf eine triste, fünf mal fünf Meter große Betonfläche guckt, die als Patio bezeichnet wird. Eine Wohnung ist so deprimierend wie die andere.«
    »Wissen Sie, es gibt da eine Wohnanlage, in der wir schon mehreren Damen in Ihrer Situation eine Wohnung vermittelt haben. Sie fühlen sich dort sehr wohl«, erwiderte er strahlend.
    »Ich verstehe. Sie meinen wohl ein Zentrallager
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