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Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek
Autoren: James A. Owen
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auszuwählen.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass es die Erlkönige die ganze Zeit über gegeben hat? Irgendwann in der Geschichte?«
    »Ja.«
    »Vielleicht Dschingis Khan? Attila der Hunne? Wer kann solchen Einfluss besessen und die Welt nicht zum Einsturz gebracht haben?«
    Juda schüttelte leise lachend den Kopf. »Interessant, wie Sie automatisch annehmen, dass eine solche Macht nur zur Zerstörung eingesetzt werden würde. Lassen Sie sich gesagt sein – die Bücher in der Bibliothek von Meru waren keine willkürlichen Ergänzungen oder einfache Sammlungen von Mythen und Geschichte. Ich habe Ihnen bereits erzählt, dass jeder Band, jedes Buch in diesen endlosen Regalen, die Aufzeichnung eines Umkehrungszeitraums darstellte. Doch nicht jeder Umkehrung entsprach ein Buch. Es sind mehr Geschichten der Welt verloren gegangen als jemals aufgeschrieben wurden, und von diesen befinden sich nicht alle in Meru.«
    Plötzlich ließ eine grauenvolle Erkenntnis das wenige Blut gefrieren, das Michael noch geblieben war. »Die Übersetzungen – Sie haben mich überhaupt nie gebraucht, richtig? Nicht wenn Sie auch nur über einen Bruchteil der Fähigkeiten verfügen, die Sie angeblich besitzen.«
    Juda sah ihn an und verschränkte die Arme. »Das ist nicht wahr. Ich habe Sie gebraucht, Michael. Ich habe Sie sehr dringend gebraucht.«
    »Für den Mord.«
    »Ja, so Leid es mir tut – für den Mord.«
    Michael schnaubte verächtlich. »Sie verstehen, wenn ich Ihnen das nicht abnehme.«
    »Ich meine es wirklich ernst«, widersprach Juda. »Ich halte nichts von willkürlichen oder unnötigen Schritten, und wenn ich wollte, dass die Umkehrung gelingt, dann war der rechtzeitige Tod eines Erlkönigs von höchster Wichtigkeit.«
    »Warum?«, fragte Michael und ein Schluchzen entwich seiner Kehle. »Wir wussten, dass ein Umkehrungszeitraum bevorstand. Wir kannten den Zeitraum und die Kultur, die ihm unterliegen würde. Wir kannten sogar den genauen Zeitpunkt des Zusammentreffens. Warum muss ich sterben, damit Sie und Galen die Umkehrung beobachten können?«
    »Weil«, sagte Juda, »die Umkehrung durch Ihren Tod nicht nur Deutung wird, sondern wahre Berührung – und dadurch die Möglichkeit geschaffen wird, die Annäherung dauerhaft zu machen.«
    Das war es, dachte Michael, von Schwäche und Übelkeit überwältigt.
    Das war der Bogen, den er übersehen hatte, die große Klammer, die das Puzzle der Welt zusammenhielt und die so viel erklärte: Der Tod eines Erlkönigs – ganz gleich, was genau sich hinter diesem Begriff verbergen mochte – besiegelte den Erfolg der Umkehrung, ihr unabwendbares und dauerhaftes Eintreten. Sein eigenes Sterben besiegelte das Aufgehen von Judas Plan. Er dachte an die Papierstreifen, die sie gemeinsam gelegt hatten – er selbst befand sich jetzt auf einer dieser Verbindungen zwischen den Zeitaltern, die sie damals aus Klebeband gefertigt hatten. Und, wie ironisch: Immerhin war er Juda ja ganz buchstäblich auf den Leim gegangen.
    Juda schloss die Augen – ein Zeichen der Achtung vielleicht? Dann fuhr er fort, seine Stimme klang gedämpfter, als sei ein Druck von ihr gewichen. »Die Maya und die Anasazi haben das alles gewusst. Die Ägypter – zumindest die frühen Dynastien – und die Hettiter wussten es ebenfalls. Die Sumerer wussten davon, vergaßen es wieder, und entdeckten es noch einmal von Neuem. Die Abendländer haben es nie wirklich verstanden – besonders nicht, nachdem jemand die Vorstellung des Rittertums erfunden hatte. Doch die Barbaren entwickelten es eigenständig, als eine natürliche Folge der Evolution ihrer Kultur. Sie bildeten Gesellschaften, die einer Monarchie ähnelten, mit dem Unterschied, dass das Anrecht auf die Königswürde verdient und bewiesen werden musste und nicht vererbbar war. Wenn ein König oder Kriegsherr nicht mehr in der Lage war zu herrschen, war es Pflicht der Thanen des Königs – die den Rittern ähnelten – ihn zu opfern, damit dem Land die Fruchtbarkeit zurückgegeben würde. Dies wurde als Ritual der ›Opferung des Heiligen Königs‹ bekannt und von den meisten druidisch begründeten Glaubensrichtungen durchgeführt. Und manchmal war ein Ritual wirkungsvoller als andere, obwohl man nicht die geringste Ahnung hatte, warum.«
    »Weil diese Opferungen während einer Umkehrung stattfanden.«
    »Ja – und wenn sie absichtlich durchgeführt wurden, mit dem vollen Wissen, wodurch ein solches Ereignis begünstigt wurde – «
    »Dann konnte derjenige, der
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