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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906
Autoren: Hermann Hesse
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entbehre.
    Weißt du, Lieber, unsre Ballspiele und Schwimmbäder, das Schlittschuhlaufen
    und das Reiten ohne Sättel!
    Er schwieg und wir wußten keine Antwort. Dann
    trat allmählich der gewohnte freundliche Ernst wieder auf sein beruhigtes
    Gesicht.
    Sieh, so kindisch bin ich!
    sagte er zu mir,
    und ich habe doch das
    glücklichste Leben, voll von Sonne, und nur dem Kennenlernen der Schönheit
    gewidmet. Und eine Mutter! Sieh sie nur an, wie sie voll Güte und Trost ist. Sie schenkt mir einen hellen Tag um den andern, sie reist und ruht mit mir . . .
    Er
    legte die Hand der Abwehrenden zärtlich an seine gerötete Wange.
    Wenige Tage darauf war meine Ferienzeit zu Ende und ich kehrte in die
    ferne Stadt zu meinem Beruf zurück, von dem Leben mit dem Freunde und
    seiner Mutter innerlich gereinigt und geadelt. Die Geduld des Leidenden war
    mir seither oft ein Vorbild, und noch mehr sein geläuterter Blick und seine Anbetung des Schönen. Claude Lorrain und die englischen Kupferstecher lernte
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    ich erst durch ihn kennen, auch in der Musik war er noch zuweilen mein Lehrer gewesen. Er schickte mir nach seiner Rückkehr in die Heimat mit der Abschrift der
    Steinernen Götter
    eine schöne Hermesbüste, einen Zwilling der seini-
    gen, mit einem herzlichen Brief. Durch seine und seiner Mutter Briefe blieb
    er mir verbunden, bis ich ihn fast zwei Jahre nach jenem Schwarzwaldidyll
    besuchen konnte.
    Er empfing mich mit hellen Augen, noch ruhiger und magerer geworden,
    aber auf der Höhe seiner graziösen, stillen Liebenswürdigkeit. Ein Gastzim-
    mer war mir bereitet, und ich genoß mehrere Wochen die vornehme Gast-
    freundschaft des Hauses. Einige von Erwins Freunden, darunter auch ein wie-
    dergefundener Kamerad vom Kloster her, kamen fast täglich zu Besuch. Ich
    entdeckte im unbewohnten Parterre des reichen Hauses ein hohes Zimmer,
    welches Erwins Vater vor Zeiten aus Liebhaberei im Stil der späten Renais-
    sance ausgestattet hatte. Dort verbrachten wir in der heitersten Maskerade
    viele Abende vor dem Flakkerfeuer des hohen Kamins mit Erzählen, Lesen
    und Plaudern, in roter Dämmerung auf geschnitzten Sesseln ruhend, das Au-
    ge vom Kaminlicht und von der beleuchteten feinen Arbeit der Simse und
    Friese erfreut. Ich fand meinen Freund zum Kenner gebildet, im Besitze rei-
    cher Kupfermappen, mit welchen er die Vormittage lang sich beschäftigte.
    Seine Seele schien frei und lächelnd sich mit dem kranken Leibe zu vertragen.
    Eines Abends bereitete mir Erwin einen Genuß seltener Art. Zwei inein-
    andergehende Zimmer mit breiten, deckenhohen Flügeltüren waren in ein
    kleines Theater verwandelt. Wenige Gäste waren geladen. Von Freunden und
    wohl vorbereiteten jungen Damen wurde eine Dichtung Erwins aufgeführt, ein
    Schäferspiel, süß und bunt wie die Verse Tassos und Ariosts, ein wenig sentimental, ein wenig übermütig, ein wenig kokett, ein feiner, geistreicher Scherz eines eleganten Geschmacks. Der junge Dichter, welcher alle Öffentlichkeit,
    auch den Druck, scheute und verbot, saß lächelnd hinter den Zuschauern, mit
    einem Gesicht voll Scherz und Glück, den rechten Arm um den Nacken der
    Mutter gelegt.
    Ich erstaunte über die feine Form und den leichten Witz dieses galanten
    Stückes und sprach tags darauf mit Erwin darüber. Er sagte mit leichtem
    Lachen:
    Ich bin vielleicht gar kein Dichter. Ich habe eure brennenden Lei-
    denschaften nicht und kenne nicht wie ihr das Leben, das hinter dem Vorhang
    meiner Einsamkeit in Straßen und Häusern wohnt. Aber ich liebe überall das
    Zarte und mit Kunst Gearbeitete und habe mich viel mit Sprache und mit den
    geheimen Gesetzen der Formbildung beschäftigt. Und dann fällt es mir leichter als euch, das Reine zu finden, weil mein Leben nur halb ist und schon über der Grenze liegt, an welcher ihr erst die Gewohnheiten und die Sprache des Alltags und des Handwerks ablegt. Ich glaube, daß mein schwächliches, aber ruhiges
    und reinliches Leben mir diese Technik gab. Sieh, ich habe mich nie im Streit 13
    der Straßen und Märkte befunden; ich kenne die letzten Akte und überhaupt
    die Wirrnisse der Frauenliebe kaum. Ich lebe von einfachen Speisen, ich rau-
    che nicht, ich bin nie betrunken gewesen. Meine Liebe begnügt sich, nächst
    den Kunstwerken, mit Blumen; mein Wirtshaus ist der Garten, in dem ich
    einige Blumenbeete selber besorge, mein Theater ist der Park, mein Konzert
    und Biergarten ist die Verandabank, auf welcher ich die Farben und Beleuch-
    tungen
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