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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman
Autoren: Marc Levy
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gelöscht hatte, stürzte sich Keira auf die Schokolade, und wir teilten uns die Kekse.

    »Glaubst du, sie haben es sich anders überlegt?«, fragte sie.
    »Keine Ahnung, warten wir’s ab.«
    Die Tür öffnete sich, und zwei vermummte Männer traten ein, gefolgt von einem dritten, der nicht maskiert war und einen gut geschnittenen Tweedanzug trug.
    »Aufstehen und mitkommen«, sagte er.
    Wir verließen unsere Zelle und liefen über einen langen Gang.
    »Da sind die Personalduschen«, erklärte der Mann. »Waschen Sie sich, Sie haben es nötig. Wenn Sie fertig sind, bringen meine Männer Sie zu meinem Arbeitszimmer.«
    »Darf ich fragen, mit wem wir die Ehre haben?«, erkundigte ich mich.
    »Sie sind arrogant, aber das gefällt mir«, gab der Mann zurück. »Ich heiße Edward Ashton. Bis gleich.«

    Wir waren wieder fast präsentabel. Ashtons Männer führten uns durch ein prächtiges Anwesen. Der Keller, in dem wir eingesperrt gewesen waren, gehörte zu einem Gebäude ganz in der Nähe eines Gewächshauses. Wir durchquerten einen gepflegten Park, stiegen eine Freitreppe hinauf und gelangten in ein geräumiges, holzgetäfeltes Arbeitszimmer.
    Sir Ashton erwartete uns hinter seinem Schreibtisch.
    »Sie haben mir ganz schön Kopfzerbrechen bereitet.«
    »Das beruht auf Gegenseitigkeit«, antwortete Keira.
    »Wie ich feststelle, mangelt es auch Ihnen nicht an Humor.«
    »Ich wüsste nicht, was amüsant an dem sein soll, was Sie uns angetan haben.«
    »Daran sind Sie selbst schuld, an Warnungen hat es schließlich
nicht gemangelt. Aber nichts schien Sie dazu bewegen zu können, Ihre Suche aufzugeben.«
    »Warum hätten wir das auch tun sollen?«
    »Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten Sie keine Gelegenheit mehr, diese Frage zu stellen, aber die Entscheidung obliegt nicht mir allein.«
    Sir Ashton betätigte einen Schalter, und die Holzpaneele an den Wänden des runden Raums glitten zur Seite und enthüllten fünfzehn Bildschirme, die sich gleichzeitig einschalteten. Auf jedem erschien ein Gesicht. Ich erkannte sogleich unseren Kontaktmann aus Amsterdam. Die Männer und Frauen stellten sich unter dem Namen der Hauptstadt ihres jeweiligen Landes vor: ATHEN, BERLIN, BOSTON, ISTANBUL, KAIRO, MADRID, MOSKAU, NEU-DELHI, PARIS, PEKING, ROM, RIO, TEL AVIV, TOKIO.
    »Aber wer sind Sie?«, fragte Keira.
    »Die offiziellen Vertreter dieser Länder. Wir sind mit dem Dossier betraut, das Sie betrifft.«
    »Welches Dossier?«, wollte ich wissen.
    Eine Frau namens Isabel wandte sich als Erste an uns und stellte uns eine seltsame Frage: »Angenommen, Sie hätten den Beweis dafür, dass es keinen Gott gäbe, sind Sie sicher, dass die Menschen es hören wollten? Und haben Sie sich gut überlegt, welche Konsequenzen die Verbreitung einer solchen Nachricht hätte? Auf der Erde leben zwei Milliarden Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Die Hälfte der Weltbevölkerung fristet ihr Dasein, indem sie sich alles versagt. Haben Sie sich je gefragt, was eine so unausgeglichene Welt im Lot hält? Die Hoffnung! Die Hoffnung darauf, dass es nach dem Tod ein übernatürliches, gütiges Wesen gibt. Nennen Sie diese Hoffnung Gott oder Glaube, wie immer Sie wollen.«
    »Entschuldigen Sie bitte, aber die Menschen bringen sich von jeher im Namen Gottes gegenseitig um. Ihnen den Beweis
zu liefern, dass es einen solchen nicht gibt, würde sie ein für alle Mal von jeglichem Hass den anderen gegenüber befreien. Sehen Sie doch, wie viele bei den Religionskriegen umgekommen sind, wie viele Opfer sie noch alljährlich fordern, wie viele Diktaturen auf einem religiösen Fundament basieren.«
    »Die Menschen brauchten den Glauben an Gott nicht, um sich gegenseitig zu töten, sondern um zu überleben«, erklärte Isabel, »und um das zu tun, was ihnen die Natur befiehlt, das heißt den Fortbestand ihrer Spezies zu sichern.«
    »Die Tiere tun es, ohne an Gott zu glauben«, warf Keira ein.
    »Aber der Mensch ist das einzige Lebewesen auf dieser Erde, das um seinen eigenen Tod weiß und ihn fürchtet. Wissen Sie, auf welche Zeit die ersten Anzeichen von Religiosität zurückgehen?«
    »Vor hunderttausend Jahren begrub der Homo sapiens in der Nähe von Nazareth zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte die sterblichen Überreste einer etwa zwanzigjährigen Frau. Zu ihren Füßen ruhten die Gebeine eines sechsjährigen Kindes. Die Entdecker dieses Grabes fanden um die beiden Skelette herum zahlreiche Spuren von rotem Ocker und rituelle Gegenstände. Beide Male
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