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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman
Autoren: Marc Levy
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den Lama, der uns das Leben gerettet hatte. Ich hörte das Dröhnen der klapprigen Maschine, mit der wir Birma überflogen, sah das Reisfeld, auf dem wir zum Tanken gelandet waren, das Augenzwinkern des Piloten, als wir uns
Port Blair näherten, unsere Bootsfahrt zur Insel Narcondam. Ich war wieder in Beijing, im Gefängnis von Garther, in Paris, London und Amsterdam, in Russland und auf der Hochebene von Man-Pupu-Nyor, ich sah die herrlichen Farben des Omo-Tals und Harry, der plötzlich auftauchte. Und bei all diesen Erinnerungen war das Schönste doch immer Keiras Gesicht.
    Ich entfaltete das Taschentuch …

    Als ich das Boot wieder ans Ufer gezogen hatte, klingelte mein Handy. Ich erkannte die Stimme am anderen Ende der Leitung sofort.
    »Sie haben eine weise Entscheidung getroffen, und wir danken Ihnen dafür«, verkündete Sir Ashton.
    »Aber woher wissen Sie, ich habe doch eben erst …«
    »Seit Ihrer Abreise haben wir Sie ständig im Visier. Eines Tages vielleicht … aber glauben Sie mir, es ist zu früh, wir haben noch so viele Fortschritte zu machen.«
    Ich klappte mein Handy zu, warf es wütend ins Wasser und kehrte auf meinem Esel nach Hause zurück.
    Keira erwartete mich auf der Terrasse. Ich vertraute ihr Walters leeres Taschentuch an.
    »Ich glaube, er würde es schätzen, wenn du es ihm zurückgibst.«
    Keira faltete das Taschentuch zusammen und zog mich in unser Schlafzimmer.

Die erste Nacht
    Im Haus war alles still. Bemüht, bloß keinen Lärm zu machen, schlichen Keira und ich nach draußen. Auf Zehenspitzen liefen wir zu den Eseln und wollten sie gerade losbinden. Da trat meine Mutter vor die Tür.
    »Wenn ihr zum Strand wollt, was um diese Jahreszeit der reine Wahnsinn ist, dann nehmt wenigstens diese Handtücher mit. Der Sand ist feucht, und ihr holt euch den Tod.«
    Sie reichte uns auch zwei Taschenlampen und verschwand wieder im Haus.
    Wenig später saßen wir am Ufer. Es war Vollmond, und Keira lehnte den Kopf an meine Schulter.
    »Bereust du auch nichts?«, fragte sie mich.
    Ich betrachtete den Himmel und dachte an die Atacama-Hochebene, wo ich eine halbe Ewigkeit her - so kam es mir zumindest vor - die Sterne beobachtet hatte.
    »Jedes menschliche Wesen besteht aus Billionen von Zellen, wir sind Milliarden Menschen auf diesem Planeten, und es werden immer mehr. Das Universum besteht aus Milliarden und Abermilliarden von Sternen. Und wenn dieses Universum, dessen Grenzen ich zu kennen glaubte, nun selbst bloß ein winziger Teil eines noch weit größeren Ganzen wäre? Wenn unsere Erde nur ein Zellhaufen im Bauch einer Mutter wäre? Die Geburt des Universums ähnelt der eines jeden Lebens, dasselbe Wunder wiederholt sich vom unendlich Großen bis zum unendlich Kleinen. Kannst du dir vorstellen, wie fantastisch es
wäre, durch die Iris dieser Mutter auf ihre Welt zu blicken? Das Leben ist ein unglaubliches Programm.«
    »Aber wer hat ein derart vollkommenes Programm ersonnen, Adrian?«

Epilog
    Iris wurde neun Monate später geboren. Wir haben sie nicht getauft, doch ein Jahr später, als wir sie zum ersten Mal mit ins Omo-Tal genommen haben, wo sie Harry kennenlernte, haben ihre Mutter und ich ihr einen Anhänger geschenkt …
    Ich weiß nicht, was sie eines Tages in ihrem Leben machen wird, doch wenn sie groß ist und mich fragt, was dieser sonderbare Gegenstand ist, den sie am Hals trägt, werde ich ihr die Zeilen eines Textes vorlesen, den mir ein alter Professor anvertraut hat.
    » Einer Legende zufolge kennt jedes Kind im Mutterleib das Geheimnis der Schöpfung, von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende. Bei der Geburt beugt sich ein Bote über die Wiege und legt einen Finger auf seine Lippen, damit es nie das Geheimnis des Lebens, das ihm anvertraut wurde, preisgeben kann …
    Diese Berührung löscht für immer sein Gedächtnis und hinterlässt ein Zeichen. Jene Kerbe, die alle über der Oberlippe haben, alle außer mir.
    Am Tag meiner Geburt hat der Bote vergessen, mich zu besuchen, und ich erinnere mich an alles.«
    Für Ivory, in unendlicher Dankbarkeit,
    Keira, Iris, Harry und Adrian.

Danksagung
    Mein Dank gilt:
     
    Pauline.
    Louis.
     
    Susanna Lea und Antoine Audouard.
     
    Emmanuelle Hardouin.
     
    Raymond, Danièle und Lorraine Levy.
     
    Nicole Lattès, Leonello Brandolini, Antoine Caro, Élisabeth Villeneuve, Anne-Marie Lenfant, Arié Sberro, Sylvie Bardeau, Tine Gerber, Lydie Leroy, Joël Renaudat, sowie dem gesamten Team der Éditions Robert Laffont.
     
    Pauline Normand,
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