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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds /
Autoren: Friedrich Ani
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hatte schließlich ein Leben lang trainiert, und es war gar nicht so einfach, einem Haufen besoffener Schwachköpfe was zu erzählen, das sie auch halbwegs kapierten.
    »Danke«, sagte er. »Das freut mich, wenn du so was sagst. Also gut, aber nur zehn Minuten!«
    Und Raphael stellte sich auf die Schuhspitzen und gab ihm einen Kuss auf den Mund. Dann sperrte er schnell die Tür auf und huschte hinaus.
    Gustl stand da, die Hand an der Klinke, sah den Jungen im Parterre durch die Haustür verschwinden und fühlte sich plötzlich im Universum allein. Er kannte dieses Gefühl, und er hatte gedacht, dass er es nie wieder haben würde, denn es hatte ihn mehr geschmerzt als alles andere, was er in den Jahrzehnten danach erlebt hatte. Und jetzt hatte er es wieder, dieses unerträgliche Empfinden von Abschied, genau wie damals, als seine Mutter von einem Tag auf den anderen nicht mehr da war und nur einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen hatte.
    Hastig schloss er die Tür, griff nach der Bierflasche auf dem Boden und trank sie, ohne abzusetzen, aus. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass, was immer auch in naher Zukunft geschehen würde, sein bisheriges Leben unwiderruflich vorbei war und die Fledermäuse in seinem Kopf gesiegt hatten.
     
    »Wenn der hier zur Tür reinkommt, schlag ich ihn tot!«, schrie Thomas Vogel, und Eva wich vor ihm zurück.
    »Du bist doch Vater«, stammelte sie leise.
    »Ich schlag ihn tot, diesen ungehorsamen Kerl, und seine Mutter gleich mit!«
     
    »Und wer ist der verletzte Junge?«, fragte Sonja Feyerabend, die, das Handy am Ohr, im Hof des Dezernats auf und ab ging, weil sie dringend frische Luft brauchte.
    »Wahrscheinlich gehörte er zu den Tagestouristen, ein Einheimischer ist es jedenfalls nicht, das hätte der Arzt gewusst.«
    »Sag mir die Wahrheit, Tabor: Glaubst du immer noch, dass Raphael auf der Insel ist?«
    »Ja, das glaub ich.«
    »Warum hast du mich nicht schon eher angerufen? Kannst du dir nicht vorstellen, was hier los ist? Jetzt hat sich auch noch der Kinderschutzbund gemeldet, die haben vor, uns wegen unterlassener Hilfeleistung anzuzeigen. Weil wir den Jungen wider besseren Wissens nicht vor seinem Vater beschützt haben. Die Frauenbeauftragte der Stadt beschimpft uns öffentlich, weil uns das Schicksal von Kirsten Vogel völlig egal sei, und so weiter. Hast du Kontakt mit den Kollegen aus Pinneberg?«
    »Nein. Im Krankenhaus hab ich keinen getroffen. Wahrscheinlich sind sie immer noch dabei, die Angehörigen dieses Jungen ausfindig zu machen …«
    »Noch was«, sagte Sonja und atmete die kühle Luft ein, die ihr gut tat. »Wir haben den grauen Polo gefunden. In Köln. Die Kollegen haben eine Garage aufgebrochen und ihn entdeckt. Allerdings wissen wir nicht, mit welchem Auto August Anz jetzt unterwegs ist. Unsere Ermittlungen bei den Reedereien waren bisher erfolglos. Vielleicht kriegen wir im Lauf der Nacht noch was raus. Volker ist stinksauer auf dich. Ich hoffe wirklich, du findest den Jungen.«
    »Und ich hoffe, dass Anz bei ihm ist.«
     
    Hinter den Häusern, die die Einkaufsstraße im Unterland säumten, war er bis zum Felsen gelaufen und dann die Treppe hinauf. Mit seiner roten Jacke blieb er nicht unauffällig, aber um diese Jahreszeit waren eine Menge Kinder auf der Insel zu Besuch, und viele von ihnen zogen ohne ihre Eltern durch die Straßen.
    Oben verlangsamte er seinen Schritt und sah sich um: Er wusste nicht mehr genau, welcher der kürzeste Weg zum Lummenfelsen war. Er kam an einer Apotheke vorbei, an Parfümerien und Lokalen und bemerkte vor sich eine beleuchtete Telefonzelle. Ein Mann stand darin und telefonierte. Dem wollte er nicht begegnen, und so lief er nach rechts in eine Seitengasse, die menschenleer war.
     
    »Ich glaub, das war er!«, sagte Süden ins Telefon.
    »Du hast ihn gesehen?« Sonja blieb vor einem der Dienstwagen, die vom Regen schmutzig waren, stehen und drückte das Handy ans Ohr. »Lauf ihm hinterher, und ruf mich sofort wieder an!«
    »Ja!«, sagte er, hängte ein und stürzte aus der Telefonzelle.
    »Einen Moment bitte!«
    Drei Männer umstellten ihn, und einer von ihnen zeigte ihm seinen Ausweis. »Polizei. Kommissar Schröder, Pinneberg. Sie sind der Kollege Süden aus München?«
    »Ja, lassen Sie mich durch, ich muss diesen Jungen aufhalten!«
    »Sie kommen mit uns, Herr Kollege, so weit wir wissen, sind Sie suspendiert und nicht mehr im Dienst. Kommen Sie!«
    »Lassen Sie mich in Ruhe!«, rief Süden, doch bevor er
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