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Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Kevin Emerson
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weder ein toller Sportler noch ein besonders gut aussehender Vertreter seiner Art. Er war klein und ziemlich hager, voller Sommersprossen, und seine Augen wirkten irgendwie schief und waren immer halb geschlossen. Eins aber hatte er uns allen voraus: Er war diesen Sommer schon zweimal im Camp gewesen, und die Jahre davor schon öfter, als man zählen konnte. Deshalb war er der König hier, und eine seiner königlichen Pflichten bestand darin, Spitznamen zu verteilen.
    »Schildkröte« zum Beispiel, was nicht gerade viel Sinn ergab, doch wenn Leech es sagte, war es auch so, und seine Untertanen fanden es zum Schreien.
    Lilly aber warf ihm nur einen strengen Blick zu. Anscheinend erstreckte sich Leechs Macht nicht auf die Älteren. »Was …«, hob sie an. »Ach so.« Sie nickte überdeutlich, als hätte sie gerade ein großes Rätsel gelöst. »Du versuchst, witzig zu sein.«
    Gelächter machte die Runde. Leechs Kumpel schubsten ihn mit den Ellbogen, und er grinste schwach. »Ich bin witzig«, erklärte er, aber der Konter klang ziemlich lustlos. Es war das erste Mal, dass ich ihn so hörte.
    Selbst er spürte dieses besondere Etwas, das Lilly besaß. Als trüge sie ihre eigene kleine Kuppel mit sich herum, eine Art Kraftfeld. Und in ihrer Nähe kam es einem so vor, als ob sich dieses Kraftfeld auf einen selbst ausdehnte und einem Schutz spendete. Wie jetzt zum Beispiel, als Beaker, der eigentlich Pedro hieß und einer der wenigen bei uns war, der es noch schlimmer erwischt hatte als ich, laut und dämlich zu kichern anfing.
    »Klappe halten«, grunzte einer von Leechs Bande und stieß Beaker ins Wasser.
    Lillys Hand schoss vor schnappte sich die Trillerpfeife aus der Luft. »Mal schön langsam, starker Mann. Wie heißt du überhaupt?«
    »Jalen?«, antwortete er, also hegte er selbst seine Zweifel daran. Jalen war der größte von uns und wirkte schon dank seiner Muskeln älter als wir. Sie sahen nicht wie die straff gespannten Seile aus, die sich die Kinder im Hub antrainiert hatten – Jalens Muskeln wirkten geschmeidig, lässig, als hätte er nicht viel dafür tun müssen, sondern sich einfach mit einer Luftpumpe aufgeblasen. Er streckte die Brust heraus und versuchte, nicht ängstlich zu wirken.
    Lilly schenkte ihm einen finsteren Blick, dann schaute sie an uns vorbei. »Hey, Ev!«
    Evan, ein weiterer Juniorbetreuer, schaute zu uns rüber. Dann strich er sich das hellblonde Haar aus der Stirn und lockerte seine Schultern, neben denen sich Jalens wie Einsteigermodelle ausnahmen. »Was gibt’s, Lilly?«
    Lilly zeigte auf Jalen. »Steckst du den Kleinen bitte in die Kiste?« Die Kiste, das wussten wir mittlerweile, war das rechteckige Stück Schatten unter dem Rettungsschwimmersitz am Strand, wo die kleinen Kinder spielten und kreischend mit Sand warfen. »Na los, du Zwerg«, sagte sie zu Jalen. »Viel Spaß mit den anderen Babys.«
    »Lass mich in Frieden«, murmelte Jalen. »Das ist doch albern.«
    »Hey! Zwing mich nicht, es dir noch schwerer zu machen. Ev tut alles, was ich will.«
    Jalen sah aus, als hätte er noch eine Antwort parat, überlegte es sich aber anders. Er trottete davon, Richtung Ufer.
    »Viel Spaß!«, rief Lilly ihm nach. Dann widmete sie sich wieder uns. Wir waren mucksmäuschenstill. »Alles klar?«, fragte sie Beaker, der sich gerade wieder auf den Steg zog.
    »Mir geht’s gut«, sagte er schwach.
    Lilly warf Leech noch einen bösen Blick zu, dann schaute sie wieder mich an. »Also, schaffst du das?« Sie zeigte aufs Wasser hinaus.
    »Klar«, log ich und versuchte, etwas selbstsicherer zu wirken.
    »Wie heißt du?«
    »Owen Parker.«
    Lilly grinste. »Ich bin nicht deine Mathelehrerin. Du musst dich nicht mit vollem Namen vorstellen.«
    »Tut mir leid.«
    Sie hob eine Braue. Ihre Augen hinter den verspiegelten Gläsern blieben ein Geheimnis, und ich nahm erst an, dass sie mich für einen hoffungslosen Fall hielt. Ihr Blick blieb aber weiter auf mich gerichtet, ihr Lächeln dauerte an, und auf einmal fiel es mir ganz schön schwer, einfach nur da zu stehen und nicht etwas Dummes zu tun – krampfhaft witzig zu sein, zum Beispiel, oder einfach in den See zu springen.
    Vielleicht hatte ich mich da schon verliebt, gewissermaßen auf den ersten Blick, was die einzige Art von Liebe war, die ich bislang kannte – die Art, von der man niemand zu erzählen braucht, die man spüren kann, ohne dass der andere einen auch nur kennt. Für die man nichts weiter tun muss und die völlig ungefährlich
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