Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
der Blutegel und wandte sich ergeben an die junge Frau. »Was also soll ich mit ihm tun, Doña Elena? Wollt Ihr, dass ich diesen vorlauten Sklaven, der es gewagt hat, den Blick auf Euch zu richten, auspeitschen lasse? Oder soll ich ihn von der höchsten Klippe ins Meer werfen lassen?«
    Navarros Tochter ließ sich mit der Antwort Zeit. Gedankenverloren ihren Schirm drehend, musterte sie Nick, dessen nackte Brust sich sowohl vor Erschöpfung als auch vor Zorn heftig hob und senkte. Er fühlte ihren Blick auf sich ruhen und konnte nicht anders, als ein wenig aufzusehen. Aus dem Augenwinkelsah er das Lächeln um ihre Züge, und für einen winzigen Moment – oder war es nur eine Täuschung, ein flüchtiger Trug? – begegneten sich ihre Blicke.
    »Nein«, entschied Navarros Tochter schließlich. Ihre Stimme klang dabei sanft und schön wie das Rauschen der abendlichen Brandung. »Ich wünsche nicht, dass der Sklave ausgepeitscht wird.«
    »So soll er von der Klippe gestürzt werden?« San Guijuelas Augen leuchteten vor Tatendrang.
    »Keineswegs. Ich will nicht, dass er bestraft wird, nur weil er seinen Blick auf mich gerichtet hat.«
    Ein Raunen ging durch die Reihen der Sklaven, und Nick konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Von diesem engelsgleichen Wesen hatte er nichts anderes erwartet, selbst wenn es Navarros Blut in den Adern hatte.
    »Wie kannst du so etwas sagen, Tochter?«, fragte der Conde entrüstet. »Begreifst du nicht, wer du bist? Du bist die Tochter eines Grafen, des Herren von Maracaibo. Kein Sklave darf ungefragt seinen Blick auf dich richten. Tut er es dennoch, so ist er des Todes, wenn du es wünschst.«
    »Das weiß ich, Vater«, entgegnete sie kühl, »aber ich wünsche es nicht. Wäre er ein freier Mann und hätte ein Verbrechen begangen, so würde ich keinen Augenblick zögern, ihn mit der ganzen Härte des Gesetzes zu bestrafen. Aber er ist ein Sklave und somit Euer Besitz. Was für eine Tochter wäre ich, würde ich den Besitz meines Vaters leichtfertig schmälern? Dieser Bursche ist jung und stark und kann noch viele Säcke tragen. Er nützt uns mehr in unseren Diensten als auf dem Grund des Meeres.«
    Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Die Sklaven warteten gespannt auf die Antwort des Conde, doch diesem schien esdie Sprache verschlagen zu haben ob des Scharfsinns seiner Tochter.
    Schließlich brach Navarro in schallendes Gelächter aus. »Gut gesprochen, Tochter«, lobte er. »Ich sehe, dass die Ausbildung, die ich dir in Madrid angedeihen ließ, reiche Früchte trägt. Ich bin sicher, dass du mir hier eine große Hilfe sein wirst.«
    »Vielen Dank, Vater«, erwiderte die Schöne und deutete eine Verbeugung an. Noch immer waren ihre Züge makellos und anmutig – aber für Nick hatten sie jeden Reiz verloren, so entrüstet war er über die Worte aus ihrem Mund.
    Auch wenn sie ihm das Leben retteten und ihm die Peitsche ersparten, zeigten sie ihm, dass Doña Elena unleugbar ihres Vaters Tochter war. Nick schalt sich einen Narren dafür, dass er jemals etwas anderes in Betracht gezogen hatte. Kurz hatte er geglaubt, Mitgefühl und Menschlichkeit in den Blicken der jungen Frau entdeckt zu haben, aber fraglos hatte er sich geirrt. Trotz ihrer blendenden Schönheit bildete Doña Elena keine Ausnahme, sie war genau wie alle anderen Spanier, die ihre Gefangenen mit Füßen traten. Lieber hätte Nick das Leder der Peitsche auf seinem Rücken gespürt, als diese bittere Wahrheit erkennen zu müssen.
    Die Aufseher zerrten ihn in die Kolonne zurück, wo sie dafür sorgten, dass er seine Last wieder aufnahm. Der Graf und seine Tochter, für die die Angelegenheit erledigt war, kehrten in ihre Kutsche zurück, woraufhin das schwarze, goldverzierte Gefährt weiterfuhr.
    Der Hufschlag der Pferde war noch nicht verklungen, als man die Sklaven bereits wieder auf die Beine prügelte und zum Marschieren antrieb. Nick hatte weiche Knie – nicht der Strafe wegen, der er mit knapper Not entgangen war, sondern Doña Elenas wegen, deren Bild nicht aus seinem Kopf verschwinden wollte.
    »Törichter Junge«, zischte der alte Angus ihm zu. »Was hast du dir dabei gedacht, das Frauenzimmer anzustarren?«
    »Ich weiß es nicht, Vater«, flüsterte Nick zurück, »aber es wird nicht wieder vorkommen.«
    »Allerdings nicht, Sohn, sonst werde ich dir eigenhändig ein paar Knochen brechen. San Guijuela hätte dich am liebsten von der Klippe gestoßen. Nur der Gnade dieser jungen Frau hast du es zu verdanken,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher